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Archiv-Artikel

Lukrativer Umweg für Zielstrebige

Studierende aus Osteuropa erwartet nach einem Aufenthalt an deutschen Unis eine steile Karriere. Most e. V. vermittelt sie an Berliner Unternehmen. Die aber schauen noch zu wenig über die Grenzen

VON WIBKE BERGEMANN

Gegenüber vom Roten Rathaus hat Most e. V. sein Büro. Die eleganten Räume lassen eher an einen Immobilienmakler denken als an einen Studentenverein. Es ist sehr aufgeräumt, die Studierenden geben sich professionell, interessierte Unternehmer sollen nicht verschreckt werden. Denn hier werden Karrieren geschmiedet.

Heute trifft sich der Studentenbeirat des Vereins. Es gibt Tee, jemand hat selbst gemachte russische Pfannkuchen mitgebracht. Die jungen Osteuropäer, die sich hier versammeln, kommen aus Ungarn, Polen, Bulgarien, die meisten aus Russland. „Die Leute suchen Kontakt zu Landsleuten. Der Zugang zu deutschen Kommilitonen fällt ihnen schwer“, sagt Katharina Friesen, die studentische Mitarbeiterin von Most. „Wenn Russen jemanden zu sich einladen, dann quillt der Tisch über mit Speisen. Die deutsche Zurückhaltung empfinden Russen häufig als Missachtung.“

Doch nicht nur die Riten der Gastfreundschaft unterscheiden sich, auch die Einstellung zum Studium: „Wir können es uns gar nicht leisten, im Studium zu bummeln“, sagt Peter Ortmayer, ein junger Ungar. „Auch Erasmus-Stipendien bieten nur sehr geringe finanzielle Hilfe. Wer es trotz der sprachlichen und der finanziellen Probleme schafft, hierher zu kommen, muss einfach sehr engagiert sein.“ Die Studierenden aus Osteuropa seien einfach zielstrebiger. Die besonders Ehrgeizigen unter ihnen absolvieren ein Doppelstudium und fahren dafür immer hin und her zwischen einer russischen oder polnischen und einer deutschen Uni: „Ich kenne immer mehr, die das machen.“ Ortmayer ist überzeugt: „Die jungen Osteuropäer, die hier studieren, und sei es auch nur für ein Semester, sind die künftige Wirtschaftselite in ihrem Land.“

Most wurde im Jahr 2000 vom damaligen Berliner Osteuropabeauftragten, Elmar Pieroth, gegründet. Der ehemalige CDU-Finanzsenator nutzt seine guten Kontakte, um den Verein mit Spenden zu finanzieren. Der Name „Most“ heißt in den slawischen Sprachen Brücke, den Studierenden bietet der Verein vor allem eine Brücke zu deutschen Unternehmen.

Jedes Semester veranstaltet Most eine Praktikumsbörse, auf der Studierende aus Osteuropa an Berliner Unternehmen vermittelt werden, die Richtung Osten expandieren wollen oder schon dort sind, darunter Firmen wie Alba, die AOK oder Roland Berger Consulting.

„Manche Unternehmen kommen durch unsere Praktikumsbörse erst auf die Idee, nach Osteuropa zu gehen“, sagt Pieroth. Denn häufig zögerten kleinere und mittlere Betriebe, weil dort keiner die Sprache kann oder sich im Land auskennt. „Wir haben aber fast 6.000 Studenten aus den östlichen Nachbarländern in Berlin. Die brauchen wir nicht zu holen, die sind schon hier. Und ein Großteil von denen geht nach dem Studium wieder zurück“, so Pieroth.

Most-Mitarbeiterin Friesen dagegen glaubt, dass viele junge Osteuropäer auch hier bleiben wollen: „Der Lebensstandard ist einfach höher. Und bei einem russischen Arbeitgeber weiß man nie, ob und wann man seinen Lohn bekommt.“ Anna, eine russische BWL-Studentin, widerspricht ihr: Sie will nach dem Studium unbedingt zurück nach Moskau, wo sie sich beste Berufsaussichten verspricht: „Russische Fachleute sind sehr gefragt bei ausländischen Firmen. Ein bis zwei Jahre an einer deutschen Uni reichen schon aus, um die westeuropäischen Standards im Rechnungswesen kennen zu lernen.“

Auch der ehemalige Finanzsenator Pieroth ist begeistert: „Diese Studenten sind die absoluten Eliten aus ihrem Land. Sonst hätten die sich nicht bis hierher durchgeschlagen. Das sind ausgesprochene Leistungsträger.“ Bei den Berliner Unternehmern dagegen vermisst Pieroth das nötige Engagement. „Die Ostberliner saßen Jahrzehnte lang hinter der Mauer und die Westberliner hinter ihrem Subventionswall. Noch immer schauen die Berliner zu wenig über die Grenzen“, beklagt Pieroth. Dabei sei der Osten gerade für kleinere und mittlere Unternehmen eine Chance.