: Blaue Briefe nach London und Den Haag
EU leitet Verfahren wegen Überschreitung der Defizitkriterien ein. Italien und Deutschland entkommen einer Rüge
BRÜSSEL taz ■ Schon wieder ein blauer Brief für Berlin. Einige deutsche Hersteller verwenden noch immer ungeniert die seit 1996 geschützte Ursprungsbezeichnung „Parmesan“ für ihren Hartkäse. Das müsste die Bundesregierung unterbinden. Gestern schickte die Kommission die letzte schriftliche Mahnung in dieser Sache. Im nächsten Schritt droht ein Vertragsverletzungsverfahren – schließlich kommt Parmigiano aus Parma und sonst nirgendwoher.
Glimpflich fiel dagegen das Zeugnis aus, das der spanische Währungskommissar Pedro Solbes als letzte Amtshandlung für die deutschen Sparbemühungen ausstellte. Solbes wechselt nach Ostern als Superminister für Wirtschaft und Finanzen nach Madrid. „In Deutschland gibt es im Vergleich zur Herbstprognose Anzeichen für Verbesserungen in der Haushaltssituation. Es sind immer noch Risiken für 2005 vorhanden, aber es sieht so aus, als wäre Deutschland auf dem Weg, die Empfehlungen des Finanzministerrates vom November umzusetzen“, lobte Solbes.
Strenge Worte dagegen für Großbritannien und die Niederlande. Da das holländische Defizit im vergangenen Jahr 3 Prozent überstiegen habe, werde die Kommission einen Bericht über die Staatsverschuldung vorbereiten. Damit ist das Defizitverfahren eingeleitet. Sobald der Bericht von der Kommission verabschiedet ist, hat der Rat zwei Wochen Zeit, um darauf zu reagieren. Dann formuliert die Kommission Empfehlungen, wie die Staatsfinanzen in Ordnung gebracht werden können. Innerhalb von drei Monaten muss der Rat sie übernehmen oder ablehnen.
Der holländische Finanzminister Gerrit Zalm, der in der Vergangenheit einer der strengsten Befürworter des Stabilitätspaktes war, hat bereits am Wochenende am Rande des informellen Finanzministertreffens in Dublin Sanierungsmaßnahmen angekündigt. Er sagte, Solbes habe keine andere Wahl, als das Verfahren gegen Holland nun einzuleiten. Im November hatte Zalm mit anderen kleinen Ländern dagegen protestiert, dass Deutschland vom Rat eine Schonfrist für seine Haushaltssanierung eingeräumt worden war.
Entgegen den Erwartungen verzichtete die Kommission gestern auf einen blauen Brief an Italien. Solbes sagte lediglich, der Haushalt dort gerate zunehmend in Schieflage, „da der Regierung die Ideen ausgehen, wie sie die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben schließen soll“. Allein die Steueramnestie 2003 habe Mindereinnahmen von 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zur Folge gehabt. Deshalb drohe die Neuverschuldung über 3 Prozent zu wachsen. Mittelfristig seien die Aussichten noch düsterer, schließlich habe Italien den höchstens Schuldenberg im EU-Vergleich. „Die Situation erfordert eine Frühwarn-Empfehlung mit konkreten Vorschlägen für eine Kurskorrektur“, sagte Solbes.
Italienische Innenpolitik mag dafür verantwortlich sein, dass die Kommission diese Entscheidung gestern vertagte. Schließlich baut sich Kommissionschef Romano Prodi derzeit eine politische Zukunft als Herausforderer von Regierungschef Silvio Berlusconi in den nächsten Parlamentswahlen auf. Deshalb hatte Europaminister Rocco Buttiglione schon gewarnt, dass ein blauer Brief nach Rom als politische Diskriminierung des italienischen Amtsinhabers interpretiert werden könnte.
DANIELA WEINGÄRTNER