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Archiv-Artikel

„Jetzt sind wir mal die Bösen“

Eltern verhinderten an sechs Hamburger Schulen den Unterricht. Oberschulrätin beendet Elternbesetzung an der Schule Ludwigstraße. Behörde will morgen beweisen, dass die Mehrheit der Lehrer künftig weniger arbeiten muss

von KAIJA KUTTER

Jeden Morgen betritt der kleine Igor seine Schule durch den Hintereingang. Gestern früh war er irritiert. „Die Schule war leer. Ich hab‘ nur zwei Lehrer getroffen und die haben gesagt, dass vorne eine Versammlung stattfindet“, berichtet der Fünftklässler, der den überraschenden Stundenausfall „eher erfreulich“ fand.

Ab fünf Uhr früh hatten rund 40 Eltern der Gesamtschule Harburg den Haupteingang mit einer Mauer aus Kartons zugebaut und mit Backsteintapete verziert. „Mist, ich muss doch zu Deutsch“, ruft ein älterer Schüler kurz vor 8 Uhr, reiht sich dann aber klaglos in die Schlange auf dem Fußweg der Eißendorferstraße ein. Bis 8.37 Uhr ist es geschafft. Das Gros der 1200 Harburger Gesamtschüler steht in einer Schlange auf den Fußwegen, die das Schulareal umrunden. Jubelnd reißen die Kinder danach die Pappmauer ein.

„Herr Lange nimmt unsern Protest einfach nicht ernst“, begründet der Elternsprecher Burkhard Kunoth die Aktion. „Jetzt sind wir mal die Bösen“, in Anspielung auf die Debatte um blaumachende Lehrer. Kein Schüler wurde am Betreten der Schule gehindert, der Streikaufruf wurde dennoch befolgt.

„Wir sind dagegen, dass die Lehrer mehr arbeiten müssen und die Klassen größer werden“, erklärt die 14-jährige Yasemin. Bereits nach der ersten Kürzungsrunde vom Vorjahr hat ihr Englischkurs 32 Schüler: „Da meckert jeder jeden an. Die Lehrerin ist so empfindlich, wir dürfen nicht mal mit dem Stift klappern.“ Timur (13) fürchtet dass die lehrer dann „noch gestreßter sind und einen eher vor die Tür setzen“.

Das Problem der großen Lerngruppen, so Kunoth, werde sich mit den künftig geplanten Basisfrequenzen noch verschärfen. Für 22,5 Schüler gibt es die Grundstunden. Jede Teilungsstunde muss die Schule durch vollere Klassen erkaufen. Für Gesamtschulen, die eine heterogene Schülerschaft haben und deshalb Teilung brauchen, kaum machbar. So fanden gestern an den Gesamtschulen in Farmsen, Jenfeld, Schnelsen und Mümmelmannsberg Aktionen statt.

Am radikalsten gingen Eltern der Grundschule Ludwigstraße im Schanzenviertel vor. Sie sperrten die Lehrer aus und übernahmen den Unterricht, in dem die 270 Schüler Protestkarten bemalten, die im Anschluss per Demo zur Post gebracht und an Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) geschickt wurden. Die Aktion gefiel der Behörde offenbar nicht. Um halb zwölf erschien Schulrätin Ursula Peters im Gebäude, erklärte die Besetzung für beendet und bat die Schulleitung zum Gespräch.

„Die kann nichts dafür. Wir Eltern haben diese Aktion gewollt, weil wir so sauer sind über dieses Arbeitszeitmodell“, erklärt die Mutter Rebecca Spilker. Schule, wie sie an der Ludwigstraße erfolgreich stattfinde, könne nicht mehr gewährleistet werden.

Die Bildungsbehörde sieht die Proteste laut Sprecher Alexander Luckow gelassen. „Das sind nur 5 oder 6 Schulen von 450“, sagt Luckow. Auch werde man gegen die Eltern nicht vorgehen, da es kein „dienstrechtliches Verhältnis“ gebe. Darüber hinaus will die Behörde am Donnerstag Zahlen vorlegen, die beweisen, dass die Mehrheit der Lehrer künftig „weniger oder maximal genauso viel arbeitet wie bisher“.