: Friedrichshain im politischen Retro-Fieber
Hausbesetzungen sind für linke Gruppen als politisches Thema offenbar wieder en vogue. Einen ersten Vorgeschmack lieferten meist jugendliche Aktivisten mit Kurzzeitokkupationen am Osterwochenende. Weitere Aktionen sollen folgen
Autonome und andere Linksradikale besetzten an den drei Ostertagen insgesamt sechs leer stehende Häuser und einen Platz. Obgleich es der Polizei gelang, die Häuser zügig wieder zu räumen, zeigten sich die Veranstalter dennoch zufrieden mit ihren Aktionen. „Hausbesetzungen sind in Berlin wieder Thema“, freute sich gestern beim Bilanzgespräch einer der Veranstalter des „Autoorganisation-Kongresses“, der am Sonntag in Berlin zu Ende ging.
Eine Woche lang hatten etwa 1.000 Autonome und andere bekennende Linksradikale über „linke Freiräume“, „kollektives Wohnen“ und über die Einrichtung neuer politischer Projekte diskutiert – und waren eben im zweiten Teil ihrer Kongresswoche auch zur Tat geschritten.
Allerdings mussten die Veranstaltenden einräumen, dass es angesichts der massiven Polizeipräsenz utopisch sei, die besetzten Objekte auch tatsächlich zu halten. Vielmehr sollte mit diesen symbolischen Aktionen die so genannte Berliner Linie infrage gestellt werden.
Die wurde bereits Anfang der 80er-Jahre beschlossen: Neu besetzte Häuser und Plätze sind innerhalb von 24 Stunden durch die Polizei zu räumen – ohne auf eine Strafanzeige des Eigentümers zu warten. Verhandlungen, wie sie die Besetzenden meist fordern, sind kaum mehr möglich. An dieser „Linie“ hält auch der amtierende Innensenator Ehrhart Körting (SPD) fest.
In Zeiten hohen Leerstands, steigender Mieten und sinkender Löhne könne es nicht sein, dass der Berliner Senat „eine Nutzung leer stehender Gebäude zu einem polizeilichen Problem erklärt und jegliche politische Dimension leugnet“, sagten die Autoorganisierer. Nachdem sie bereits am Gründonnerstag für kurze Zeit einen ehemaligen Schlachthof besetzten, enterten sie am Karfreitag drei Häuser in Friedrichshain (die taz berichtete). Rund 80 überwiegend Jugendliche verbarrikadierten sich am Samstag in einem Haus in der Corinthstraße. Weitgehend unbeachtet blieb bis zum Abend eine Besetzung in Oberschöneweide, wo 20 Jugendliche ein „antifaschistisches Jugendzentrum“ erstreiken wollten. Insgesamt kam es zu rund 190 vorübergehenden Ingewahrsamnahmen, einige davon über mehrere Stunden.
Langzeitbesetzungen gibt es in Berlin schon seit Jahren nicht mehr. Die meisten Häuser, die nach dem Mauerfall im Ostteil der Stadt besetzt wurden, sind längst geräumt oder legalisiert. Seit Monaten jedoch fordern linke Gruppen und Initiativen wie das Berliner Sozialforum ein „soziales Zentrum“ und starteten Besetzungsversuche einer ehemaligen Kita in der Glogauer Straße. Auch im ungenutzten Ver.di-Gebäude am Engeldamm. Verhandlungen mit dem Senat scheiterten vorerst. Die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) und ihr seit kurzer Zeit bestehendes Bündnis ACT, das in dieser Woche mit den Vorfeldaktionen zum revolutionären 1. Mai beginnen will, ließ auch schon verlautbaren: Das soziale Zentrum wird kommen. FELIX LEE