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Archiv-Artikel

Der Tod verkauft gut

Die „Bild“ bildete am Dienstag die Leiche eines im Irak getöteten Deutschen ab: „Eindeutig ein Tabubruch“, meint Medienforscher Hartmut Schröder

taz: Herr Schröder, die Bild -Zeitung hat gestern ein Foto von der verstümmelten Leiche des im Irak getöteten GSG 9-Beamten auf der ersten Seite publiziert. Ein Tabubruch?

Hartmut Schröder: Als Zeitungsnutzer muss ich spontan sagen: Das ist ganz klar eine Tabuverletzung. Einen Beweis dafür, dass es sich auch in wissenschaftlichem Sinne um eine Tabuverletzung handelt, habe ich in der Buchhandlung erfahren, wo ich die Zeitung kaufte. Ich fragte mich: Sieht mich wer?

Als wäre allein der Erwerb der Zeitung schon eine obszöne Handlung?

Genau, aber wir können nicht genau sagen, was uns so berührt. Das Tabu ist ein unausgesprochenes gesellschaftliches Verbot. Aber immer wieder gibt es Situationen, in denen Tabus nicht gelten; etwa im Karneval, in Talkshows, vielleicht bei der Arzt-Patienten-Situation oder vor Gericht, wo offen über solche Dinge gesprochen wird, ohne dass ein Tabu gebrochen wird. Ein Bild hingegen ist absolut. Mit dem Bild wird der Tabubruch vollzogen.

Die Augen des toten Beamten waren mit einem schwarzen Balken überdeckt – ein Feigenblatt?

Ja, der einzige Euphemismus, die einzige Rücknahme oder Umschreibung hier ist der schwarze Balken – damit kann man das Bild allenfalls entschärfen, nicht aber unschuldig machen. Hier wird so getan, als nähme man die Persönlichkeit in Schutz.

Welches Tabu ist hier eigentlich gebrochen worden? Der Tod? Die Gewalt?

Nein. Das Tabu, das hier verletzt wurde, betrifft Feinfühligkeit und Rücksichtnahme gegenüber dem toten Soldaten und seinen Hinterbliebenen. Es geht auch um deutsche Staatlichkeit, die angegriffen wird, da der Abgebildete im Ausland in staatlichem Auftrag unterwegs war. Es handelt sich um einen mehrfachen Angriff auf einen ganzen Tabukomplex.

Kann ein solches Bild nicht auch den Zweck erfüllen, die Gesellschaft für die Schrecken des Krieges zu sensibilisieren?

Mir scheint eine Inszenierung vorzuliegen – mit dem einzigen Zweck, eine Auflage zu verkaufen, sich ins Gespräch zu bringen.

Kollidiert hier nicht das Tabu mit dem Nachrichtenwert? Die Schlagzeile lautete doch: „Hier ist der grausige Foto-Beweis“.

Machen wir uns nichts vor: Einen Beweis brauchten wir nicht mehr und ein Bild beweist überhaupt nichts. Keiner Ihrer Bild-Kollegen würde den sterbenden Bild-Chefredakteur zeigen. Oder den toten Axel Springer abbilden, um zu zeigen, dass Axel Springer nicht mehr lebt.

Aber mit Bildern kann man auch Politik machen. Die USA wurden aus Vietnam nicht nur vom Vietkong, sondern auch mit den schrecklichen Fotodokumenten vertrieben.

Wenn das in einer anderen Zeitung erschienen wäre oder einem Antikriegsflugblatt, dann wäre die Kontexualisierung eine andere gewesen. Im Kontext der ersten Seite der Bild kann sich jeder selbst die Frage beantworten, ob hier eine politische Motivation vorliegt. Es hat allenfalls Unterhaltungwert.

Tabus können auch umkodiert, neu definiert werden.

In der Tat vollzieht sich hier eine Umkehrung dessen, was seit 1968 passiert ist, wo die Linke der Tabubrecher war – und die heute übertrumpft und abgelöst wird von publizistischen Organen wie der Bild-Zeitung.

US-Medien sind frei von toten US-Soldaten. Wäre es denn nicht ein positiver Tabubruch, wenn toter GI etwa in der New York Times gezeigt würde?

Nein. Solche Bilder können gezeigt werden vor einem Internatonalen Gerichtshof oder im Rahmen medizinischer Diskurse, und da gehören sie auch hin. Es gibt genug sprachliche Mittel, um den Leser für das Entsetzen zu sensibilisieren – ohne dass er emotional überfordert wird.INTERVIEW: ARNO FRANK