: „Ein Rezept hat niemand“
Bernd Wacker vom Kinderhilfswerk terre des hommes glaubt nicht an den Erfolg von Babyklappen: Die Zahl getöteter und ausgesetzter Babys sei dadurch nicht gesunken
taz: Herr Wacker, warum sind Sie gegen Babyklappen und anonyme Geburt? Bernd Wacker: Zwischen 1967 und 1998 hat terre des hommes Deutschland zirka 2.800 Findelkinder aus dem Ausland hierher vermittelt. Wir wissen daher, was es bedeutet, wenn Adoptierte nichts über ihre familiäre Herkunft wissen. Deswegen setzen wir uns dafür ein, dass in den Herkunftsländern die Geschichte der Kinder ausführlich wird.
Was bedeutet es für Adoptierte, nichts über ihre Herkunft zu wissen?
Sie haben Fragen über Fragen. Woher komme ich? Leben meine Eltern noch? Gibt es Geschwister, die bleiben durften? Statt einer Erklärung steht am Anfang ihres Lebens ein schwarzes Loch.
Wie argumentierten die Betreiberorganisationen, um den Nutzen der Babyklappe zu rechtfertigen?
In den Jahren 1999/2000 ging man in Deutschland ganz allgemein von etwa 20 bis 40 ausgesetzten und getöteten Babys pro Jahr aus. Diese Aussetzungen und Tötungen glaubte man durch Babyklappe und medizinisch assistierte anonyme Geburt reduzieren zu können.
Haben sich die Hoffnungen erfüllt?
Die Zahl liegt jährlich nach wie vor bei 20 bis 40. Auffällig ist dabei, dass es sogar dort passiert, wo es zu Klappe und Klinik mit anonymer Geburt nicht weit gewesen wäre. Ich erinnere nur an den Fund eines toten Neugeborenen auf einer Kölner Müllsortieranlage am 12. Dezember.
In Deutschland haben Kinder das Recht auf Wissen um ihre Herkunft. Wie passt das mit der Anonymität der Babyklappe zusammen?
Durch die Klappe und die anonyme Geburt wird den Kindern dieses Recht vorenthalten. Können oder wollen Eltern ihre Kinder nicht erziehen, gibt es nach unserer Rechtsordnung nur den Weg der offiziellen Adoptionsfreigabe. Im Interesse des Kindes werden dabei die Daten der leiblichen Eltern offen gelegt.
Werden Mütter, die ihre Babys töten oder aussetzen, von Angeboten zur anonymen Kindesabgabe überhaupt erreicht?
Nein, bei diesen Frauen liegt oft eine erhebliche Persönlichkeitsstörung vor. Deshalb sind sie bei einer unerwünschten Schwangerschaft nicht in der Lage, Hilfe in Anspruch zu nehmen Nach einer verheimlichten Schwangerschaft wird die betroffene Frau von der Geburt überrascht. In einer Panikreaktion kann es dann zur Tötung oder zur Aussetzung des Neugeborenen kommen.
Gibt es eine Art „Zugangsbeschränkung“ für die Babyklappe?
Nein, die Klappe steht jedem offen, der sich ihrer bedienen will. Keiner weiß, wer die Kinder dort wirklich abgibt. Zu glauben, dass hier allein Frauen ohne Ausweg einen selbst verantworteten Entschluss in die Tat umsetzen, halte ich für pure Sozialromantik. Genauso gut könnte das auch ein Vater sein, der diese Gelegenheit zur Entsorgung eines Inzestzeugen nutzt.
Sie lehnen Babyklappe und anonyme Geburt ab? Haben Sie ein besseres Rezept?
Ein Rezept, wie Neonatizide und Aussetzungen zu verhindern sind, hat leider niemand. Jetzt steht der Staat in der Pflicht. Ist auf Landes- und Bundesebene wirklich schon alles probiert worden? Die deutsche Jugendhilfe müsste ihre Angebote für schwangere Frauen zum Beispiel viel offensiver bewerben. Schwangere in Not brauchen vor allem kompetente Beratung und Zeit. INTERVIEW: UTA GENSICHEN
Fotohinweis:BERND WACKER, 57, Theologe und seit 20 Jahren bei terre des hommes Deutschland tätig. Ebenda ist er Sprecher für Auslandsadoptionen.