: Falludscha in Geiselhaft
US-Menschenrechtsorganisation nennt Belagerung der irakischen Stadt illegal. Katastrophale Lage für die Zivilbevölkerung. Medizinische Versorgung dramatisch. Erneute Entführungen
BAGDAD dpa/afp/taz ■ Die US-Menschenrechtsorganisation „Occupation Watch“ hat die Belagerung der irakischen Stadt Falludscha durch die US-Besatzungsarmee scharf kritisiert. Die Lage der Menschen in der eingeschlossenen Stadt sei „katastrophal“, sagte die Vertreterin der Organisation in Bagdad, Iman Ahmed Khammas, gestern in einem Interview mit der ARD. „Den Krankenhäusern in Falludscha sind die Blutkonserven und die Medikamente ausgegangen“, erklärte Khammas. Es fehle am Nötigsten. Zudem seien Krankenhäuser in den von US-Truppen kontrollierten Gebieten umstellt. Die Mediziner müssten dort auf Privathäuser ausweichen. Tausende Menschen hätten die Stadt während der brüchigen Waffenruhe verlassen. Die andauernde Belagerung nannte die Direktorin von „Occupation Watch“ eine Verletzung der Genfer Konvention und schlicht „illegal“. Nach Einbruch der Dunkelheit werden auf alles geschossen, was sich bewege.
Der Augenzeugenbericht eines indischen Journalisten aus Falludscha bestätigte diese Aussage. Danach berichtete Rahul Mahajan von zwei Ambulanzen, die gezielte Einschüsse in der Windschutzscheibe aufwiesen. Es seien zwei Durchschusslöcher auf der Fahrerseite gewesen, kein Streufeuer, das auf eine Panikreaktion hindeute.
Nach unbestätigten Berichten wurden bei den Kämpfen bislang 700 Iraker, darunter 200 Frauen und Kinder, getötet. Die Verluste der US-Truppen werden mit 70 angegeben. Nahe Falludscha stürzte gestern ein weiterer US-Transporthubschrauber ab. Ein US-Offizier machte jedoch keine Angaben darüber, ob es sich um einen Abschuss oder einen Unfall handelte. Auch wenn der Waffenstillstand offiziell verlängert wurde, setzten sowohl die US-Truppen als auch die Aufständischen Scharfschützen ein, wie Nachrichtenagenturen berichteten. Vereinzelt gebe es auch Artilleriefeuer. Auch an anderen Orten im Irak dauerten die Kämpfe gestern an.
Während von den rund 40 entführten Ausländern gestern acht russische und ukrainische Ingenieure wieder freigelassen wurden, meldete der Fernsehsender al-Dschasira die Geiselnahme von vier Italienern. Nach Angaben der Entführer handelte es sich bei den Männern um italienische Sicherheitsleute, die für die US-Besatzungsmacht gearbeitet hätten.
Eine hochrangige Delegation schiitischer Geistlicher konferierte gestern mit Schiitenführer Muktada al-Sadr in der Stadt Nadschaf, um das Chaos im Irak durch Verhandlungen zu beenden. Die US-Truppen setzten gestern Nachmittag einen Vertrauten al-Sadrs wieder auf freien Fuß, nachdem sie ihn zuvor während eines Interviews mit italienischen Journalisten im Hotel Palestine festgenommen und abgeführt hatten. Der Geistliche Hasem al-Aradschi gilt als Vertreter al-Sadrs in Bagdad. GB
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