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Archiv-Artikel

„Der gewaltsame Widerstand im Irak ist völkerrechtswidrig“, sagt Michael Bothe

Der Krieg der USA gegen den Irak war illegitim – doch Angriffe auf die US-Besatzer rechtfertigt dies nicht. Noch nicht?

taz: Welche Rechte haben die US-Amerikaner gegenüber den Aufständischen im Irak?

Michael Bothe: Als Besatzungsmacht haben sie nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Dazu gehört das Vorgehen gegen Kriminalität und bewaffnete Banden.

auch wenn sich diese Bewaffneten als Freiheitskämpfer verstehen?

Es gibt kein individuelles Recht, gegen eine Besatzung mit Waffengewalt vorzugehen, auch wenn diese völkerrechtswidrig entstanden sein mag.

Gibt es denn kollektive Rechte, sich gegen eine Besatzung zu wehren?

Der Irak, vertreten durch die alte Regierung, hatte ein Recht auf Selbstverteidigung. Doch was jetzt geschieht, kann man nicht dem Irak als Völkerrechtssubjekt zurechnen. Eventuell könnte aber eine neue, sehr breite Befreiungsbewegung als Völkerrechtssubjekt anerkannt werden. Die Leute um Muktada al-Sadr sind dazu aber nicht relevant und gefestigt genug. Dies sieht man auch daran, wie er sich vorgestern dem Willen des Großajatollahs Ali al-Sistani untergeordnet hat.

Die Situation im Irak verändert sich täglich …

Ja, auch wir Völkerrechtler müssen die Situation ständig neu analysieren. Sollte es zu einem allgemeinen Aufstand mit dauerhaften organisatorischen Strukturen kommen, dann könnte die Situation anders aussehen.

Existieren denn universell akzeptierte Regeln, wann eine Befreiungsbewegung als neues Völkerrechtssubjekt anerkannt wird?

Nein. Naturgemäß ist hier vieles umstritten. Was den einen noch als Terrorismus gilt, ist für die anderen schon Befreiungskampf. Ein Indiz ist die Anerkennung durch andere Staaten oder internationale Organisationen. Derzeit erkennt niemand, auch nicht der Iran, militante schiitische Gruppen als Vertreter der irakischen Bevölkerung an.

Was wäre die Folge, wenn eine Befreiungsbewegung völkerrechtlich anerkannt wird?

Daraus folgen bestimmte Rechte und Pflichten des Kriegsvölkerrechts. So muss eine ausländische Interventionsmacht gefangene Kämpfer der Bewegung dann als Kriegsgefangene behandeln und darf sie nur bei Nachweis anderer Straftaten als Kriminelle einstufen. Zugleich müssen die Kämpfer dieser Bewegung als solche erkennbar sein. Anschläge durch nicht als Kämpfer gekennzeichnete vermeintliche Zivilisten sind vom Völkerrecht nicht gedeckt.

Was gilt für einen breiten, aber relativ ungeordneten Volksaufstand ganzer Städte?

Auch hier dürfte es wohl noch kein Recht auf Widerstand im Namen der irakischen Bevölkerung geben. Dennoch müssen sich die Teilnehmer einer derartigen „Levée en masse“ an das Kriegsvölkerrecht halten – und sie müssen auch so behandelt werden. Das Kriegsvölkerrecht regelt nicht das Recht zum Krieg, sondern die Art der Kriegsführung.

Ist die Situation, zum Beispiel in Nadschaf, bereits als Volksaufstand einzustufen?

Das ist aus der Ferne schwer zu beurteilen. Wenn es aber nicht nur um einzelne Anschläge geht, sondern um echte Kampfhandlungen, dann spricht das für einen Aufstand.

Haben Sie den Eindruck, dass das Kriegsvölkerrecht für die US-Armee im Irak eine Rolle spielt?

Auf jeden Fall. Die „Rules of Engagement“, auf deren Grundlage die US-amerikanischen Unterführer agieren, pflegen – so viel ist bekannt – auch von rechtlichen Überlegungen bestimmt zu sein. Das ist zu begrüßen. Ob man diesen Überlegungen im Ergebnis immer zustimmen kann, steht auf einem anderen Blatt.

In Falludscha belagert die US-Armee die Stadt, um die Herausgabe der Mörder von vier US-Bürgern zu erzwingen. Ist das zulässig?

Eine Besatzungsarmee darf nach der vierten Genfer Konvention keine Kollektivstrafen anwenden. Deshalb halte ich das Vorgehen der US-Armee in Falludscha für sehr bedenklich.

Sie haben im Vorjahr den Krieg im Irak als unzulässigen Angriffskrieg kritisiert. Hält dieser Verstoß gegen die UNO-Charta heute noch an – oder ist er inzwischen durch UNO-Resolutionen gewissermaßen geheilt?

Die Vorgeschichte, also den militärischen Angriff auf den Irak, bewertete der UN-Sicherheitsrat bisher nicht. Die UNO-Resolutionen stellen vor allem die Pflichten der USA und ihrer Verbündeten als Besatzungsmacht fest.

In der Resolution 1511 vom Oktober 2003 hat der Sicherheitsrat aber eine „multinationale Truppe“ im Irak unter Führung der Vereinigten Staaten erwähnt. Ist das nicht als eine nachträgliche völkerrechtliche Legalisierung der Besatzung zu verstehen?

Hierin kann kein UNO-Mandat für die Besatzung gesehen werden. Es wird nur betont, dass die Besatzungsstreitkräfte zur „Aufrechterhaltung von Sicherheit und Stabilität“ im Irak verpflichtet sind.

Die völkerrechtliche Situation im Irak ist aus Sicht der USA also noch nicht bereinigt.

Nein. Das ist aber keine Rechtfertigung für die aktuellen Angriffe auf die Besatzungstruppen.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH