Iraks militante Schiiten rudern zurück

Kurz vor einer erwarteten Offensive der US-Truppen gegen die Milizen des radikalen Schiitenführers al-Sadr in Nadschaf deutet dieser an, dass er sich der gemäßigten Fraktion unter al-Sistani unterordnen will. Irans Besänftigungsversuche zeigen Wirkung

VON KARIM EL-GAWHARY

Höchst unterschiedliche Signale kommen derzeit von der „schiitischen Front“ der US-Truppen im Irak. Während das US-Militär den Ring um den aufständischen Schiitenführer al-Sadr in der südirakischen Stadt Nadschaf enger zieht, versucht der zu verhandeln. Ein Abkommen soll nach Berichten des arabischen Fernsehsenders al-Dschasira kurz vor Abschluss stehen.

Al-Sadr gab gegenüber Medien vor, dass er bereit sei, sich „im heroischen Kampf zu opfern, um das Ende der Leiden der Besatzung herbeizuführen“. Gleichzeitig versuchte er aber, die Wogen zu glätten. „Alle Türen stehen offen für Leute, die es gut meinen und versuchen, die künstlich aufgeschäumte Krise zu beenden“, fügte er hinzu. Über seine Berater ließ er Verhandlungsbereitschaft signalisieren.

Einer von ihnen, Kais al-Chasali, erklärte, dass al-Sadr sich inzwischen dem moderaten Großajatollah Ali al-Sistani untergeordnet habe, der den bewaffneten Kampf gegen die US-Besatzung ablehnt: Er habe sich der von Sistani geleiteten Führung des schiitischen Gelehrtenseminars „Mardschaja“ in Nadschaf unterworfen. Damit hat der moderate Großajatollah Sistani im politischen Prozess wieder die Oberhand erlangt. In die Ecke gedrängt und militärisch unter Druck, hat der radikale Schiitenführer Sadr sich offensichtlich entschlossen, sich hinter Sistani zu stellen, um angesichts des US-Druckes einen innerschiitischen Zwist zu verhindern. Damit gibt der junge, religiös wenig qualifizierte Sadr zwar den politischen Führungsanspruch wieder an Sistani ab, sichert sich aber gleichzeitig erstmals einen Platz in der Hierarchie der schiitischen Rechtsgelehrten.

Der benachbarte Iran scheint mit seinen Vermittlungsversuchen, die das Außenministerium in Teheran inzwischen bestätigt hat, eine Rolle im Poker zwischen militärischem Druck und Verhandlungen zu spielen. Die Mardschaja hat nun ihren Gesandten Abdel al-Anzi zu den US-Besatzungsbehörden geschickt. Der bezeichnete seine ersten Gespräche als extrem positiv: Es gäbe einige Vorschläge ein Blutbad zu verhindern, deutete Anzi an. Al-Sadr verstehe, dass eine bewaffnete Konfrontation in niemandes Interesse sei. Über genaue Details wollte sich der Gesandte allerdings nicht äußern. Von offizieller US-Seite herrscht dazu bisher Schweigen.

Der Sadr nahe stehende Geistliche Haider Asis erklärte, dass Sadr zugestimmt habe, seine Mahdi-Miliz in eine politische Organisation ohne militärische Aktivitäten umzuformen. Sadr sei auch bereit, wegen des vor einem Jahr begangenen Mordes an dem schiitischen Geistlichen Abdul Madschid al-Khoi vor Gericht zu erscheinen, aber „nur, wenn im Irak eine legitime und demokratische gewählte Regierung herrscht“.

Für viele Schiiten sind Sistani und Sadr ohnehin nur zwei Seiten einer Medaille. Sistani wird als unbestrittener religiöser Führer anerkannt, während Sadr den militanten Widerstand gegen die Besatzung symbolisiert. Der Prozess hat viele Unbekannte. Noch ist nicht klar, ob die US-Amerikaner kompromissbereit sind, ob Sistani tatsächlich gegenüber Sadr die Zügel in der Hand hält und ob Sadr seine eigenen Mahdi-Milizen wirklich kontrolliert.

Denn nach außen geben sich die US-Besatzer kompromisslos. Mehr als 2.500 US-Soldaten haben zusammen mit polnischen und spanischen Truppen Nadschaf eingekesselt. Die Einwohner erwarten das Schlimmste und haben begonnen, Benzin, Kochgas und Nahrungsmittel zu horten. Am Stadtrand verteilen die ausländischen Truppen Flugblätter, in dem sie al-Sadr als Kriminellen bezeichnen. Der hält sich im Zentrum der Stadt auf, in der Nähe des für die Schiiten heiligen Schreins Alis.