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Archiv-Artikel

Herrendeo und Gummimatten

Boxen als Randsportart: Bei der ruhmreichen Bayer-Boxstaffel in Leverkusen trainiert Otto Münsterer mit Zugewanderten und einer Handvoll Frauen

Die können doch nichts dafür, dass sie als Albaner oder Kurden geboren werdenIch glaube an den Unterschied zwischen Mann und Frau – das ist auch eine ästhetische Frage

AUS LEVERKUSEN LUTZ DEBUS

Bayer Leverkusens Boxjugendwart Otto Münsterer begrüßt mich knapp. Im Moment habe er keine Zeit für ein ausführliches Gespräch. Er könne eben nicht wie eine Frau zwei Dinge gleichzeitig machen. Seine Augen verfolgen einem Sparring-Kampf.

Zwei Kerle tänzeln im Ring, langen unvermittelt zu, platzieren ihre Fäuste kraftvoll auf dem Kopfschutz des Gegners. Trainer Münsterer gibt dazu kurze und knappe Anweisungen. „Schneller! Geh nach rechts!“

Bayer? Ist das nicht diese größere Fabrik im Rheinland, die früher einmal viel Geld damit verdient hat, indem sie Flüssigkeiten zusammenrührte und so zum Global Player der Chemieindustrie wurde? Bayer, ist das nicht diese Werksmannschaft, die früher chronischer Deutscher Vizefußballmeister war? Beides ist richtig, und doch ist Bayer mehr. Der Turn- und Sportverein Bayer 1904, mit über 11.000 Mitgliedern ebenfalls kein Bayer-Leichtgewicht, hat auch eine Abteilung für Boxsport.

Seltsam ist es, die drei Menschen so zu erleben: Zwei, die aufeinander einschlagen und ein dritter, der nicht schlichtet, der die beiden Raufbolde nicht trennt, sondern sie auch noch anfeuert.

Hier riecht es nicht nach Blut, Schweiß und Tränen, dafür nach Herrendeo und Gummimatten. Der eine Boxer verschanzt sein Gesicht hinter seinen Fäusten, der andere trommelt auf ihn ein. Eine durchdringende Sirene beendet den Trainingskampf.

Die jungen Männer, beide um die zwanzig, lächeln mich an. Der eine fragt, ob ich Talente suche. Er wäre eins. Dann aber muss er sich wie alle anderen fünfzehn Boxer dem Sandsack widmen. Otto Münsterer erläutert die zu übende Schlagfolge. Einen kleinen schmächtigen Jungen fragt er, ob er inzwischen etwas besser deutsch könne. Der Angesprochene nickt. Dann sind nur noch die dumpfen Schläge der Boxhandschuhe zu hören.

Ich widme mich dem einzigen menschlichen Wesen im Raum, das angeblich zwei Dinge gleichzeitig machen kann. Claudia Schöbs ist 33 Jahre alt und hat erst vor ein paar Jahren ihre Leidenschaft für das Boxen entdeckt. Zuvor hat sie zwar auch viel Sport gemacht, Reiten, Schwimmen, Krafttraining. Aber erst beim Boxen hat sie ihre Grenzen kennen gelernt. “Eine härtere Beanspruchung des Körpers gibt es bei keiner anderen Sportart. Boxen ist gut für das Selbstbewusstsein und für die Selbstsicherheit. Nachts habe ich keine Angst, raus zu gehen. Mit einem gezielten Schlag auf die Nase könnte ich einen potenziellen Angreifer schon verwirren.“

Bei Wettkämpfen tritt sie nur gegen Frauen an. Im Training aber steht sie schon mal mit Männern im Ring. Wenn diese sehr kräftig sind, dann bremsen sie sich, nehmen etwas Rücksicht auf das etwas schwächere Geschlecht. Drei bis vier Mal in der Woche kommt Claudia Schöbs hier hin. “Boxen ist auch sehr gut dazu geeignet, Frust und Aggressionen abzubauen.“

Angst vor Verletzungen oder gesundheitlichen Schäden hat sie nicht: „Okay, hier ist schon mal ein Nasenbein gebrochen gewesen. Aber das passiert auch bei anderen Sportarten.“

In der benachbarten Turnhalle trainieren die Kleinen. Zehn Jahre muss man alt sein, dann darf man mit dem Boxsport anfangen. Fünf Jungen tragen Boxhandschuhe, balgen sich mit einem Mann. Es macht allen sichtbar und hörbar Spaß. Mit breiten Handschuhen wehrt der Große die Schläge der Kleinen ab. Doch die probieren es immer wieder. Irgendwann einmal geht der Mann, anscheinend absichtlich, zu Boden. Sofort beenden die Jungs das Spiel. Faires Verhalten haben sie schon gelernt.

Viele Boxer beim Turn- und Sportverein Bayer 1904 kommen aus armen Verhältnissen. Manche wohnen in sozialen Brennpunkten. Da wird auch geboxt, geschlagen, aber eben nach den Regeln des Stärkeren. Doch hier bestimmt das internationale Statut die Regeln. Der Trainer sagt, wo es lang geht. Weil das einige überhaupt nicht akzeptieren können, ist die Fluktuation bei den Anfängern sehr hoch. Und diejenigen, die schnell wieder aufgehört haben, trifft Otto Münsterer später gelegentlich im Stadtteil. Sie berichten dann von ihren meist eher erfolglosen kriminellen Karrieren. Die aber, die im Verein bleiben, werden ganz selten auffällig.

„Schwarze Schafe gibt es immer. Aber das Boxen lehrt Selbstbeherrschung. Und man hat ein anderes Ziel vor Augen als die Jungs draußen auf der Straße.“ Otto Münsterer hat also inzwischen Zeit für mich. Seine Ausführungen lassen mich an alte Sylvester-Stallone-Filme denken: „Als ich vor vierzehn Jahren nach Köln kam, da gab es zu neunzig Prozent Türken, zu acht Prozent Sizilianer und zu zwei Prozent Deutsche. Inzwischen haben die Jungs aus Ost- und Südosteuropa die Türken überholt.“ Otto Münsterer begründet sehr detailliert, warum gerade sozial benachteiligte, ausländische Jugendliche zu ihm kommen: „Die können nichts dafür, dass sie als Albaner oder Kurden geboren werden. Die herrschenden politischen Strukturen machen aus diesen Menschen erst Problemgruppen. Natürlich boxen bei uns auch deutsche Gymnasiasten, die sind aber eher die Ausnahme.“

Allmählich trudelt die nächste Gruppe ein. Eine junge Frau eilt an uns vorbei, verschwindet in dem Trainingsraum. Münsterer bemerkt meinen interessierten Blick. „Bitte tun Sie mir einen Gefallen. Berichten Sie nicht nur von boxenden Frauen.“ Wenn Journalisten zum Training kommen, befragen sie die zwei, drei Boxerinnen, machen von ihnen Fotos. Aber von den 95 Prozent der Boxer, die das Pech haben, männlich zu sein, wird oft nur am Rande berichtet.

Otto Münsterer trainiert auch Frauen. Aber eigentlich lehnt er Frauenboxen ab. „Ich glaube an den Unterschied zwischen Mann und Frau.“ Es sei mitunter eine Frage der Ästhetik. Er habe gebrochene Nasenbeine von Frauen und von Männern gesehen. Bei Frauen sehe das Gesicht nachher schlimmer aus. Auch die Regeln sind doch eher für Männer gemacht. Schläge unterhalb der Gürtellinie seien ja verboten. Frauen helfen sich damit, dass es einen unausgesprochenen Kodex gibt, auch nicht auf die Brust zu schlagen. Aber das wird nicht immer eingehalten.

Würde Münsterer denn seinen Kindern das Boxen verbieten? „Nein, aber ich würde sie auch nicht ermuntern. Ich fahre Motorrad. Wenn mein Sohn später Motorrad fahren will, dann würde ich ihm keins kaufen. Das müsste er sich schon selbst verdienen. So ähnlich sehe ich das mit dem Boxen. Und Motorradfahren ist übrigens viel gefährlicher als boxen.“ Aber wie gefährlich ist das Boxen?

Münsterer unterscheidet zwischen dem Profiboxsport und dem Olympischen Boxen. Profiboxkämpfe sieht man im Fernsehen. Aufgeplatzte Gesichter, blutende Lippen und Nasen, schließlich der Knock out – die über zehn Sekunden dauernde Bewusstlosigkeit – das ist nicht nur die Regel, sondern das was den Kampf ausmacht. Da, so Münsterer, solle man sich schon überlegen, ob man sich dieser Gefährdung aussetzen wolle. Beim Olympischen Boxen, das in Leverkusen praktiziert wird, herrscht ein ganz anderes Regelwerk vor, mehr zum Schutz der Boxer. Münsterer zitiert Langzeitstudien, die belegen, dass diese Art Sport eben zu keinen Gesundheitsschäden führt.

Eines wird schnell deutlich. Der Trainer Otto Münsterer ist für die Kinder und Jugendlichen mehr als ein Sportlehrer. Gelegentlich spricht er mit ihren Lehrern und Rektoren, wenn wegen eines Wettkampfes die Kinder vom Unterricht befreit werden müssen. Doch so eng wie zum Beispiel die Beziehung zwischen Boxweltmeister Sven Ottke und seinem Trainer Ulli Wegner ist sie zwischen Münsterer und seinen Boxern nicht. Dafür sind die von ihm trainierten Gruppen zu groß. Aber dennoch will er vielen von ihnen ein Vorbild sein.

Vielleicht ist dies das eigentliche Geheimnis, wie aus Schlägertypen erfolgreiche Boxer werden: Münsterer ist diszipliniert, ehrgeizig und fair. Er ist dabei aber überhaupt kein Seelsorger oder Sozialarbeiter. „Das Wichtigste sind die Wettkämpfe. Wir wollen gewinnen!“ Und das macht der TSV Bayer 04 seit genau hundert Jahren. Noch immer ist die Amateurboxstaffel Deutscher Rekordmeister.