: „Der rein männliche Zustand ist idiotisch“
Feridun Zaimoglu erklärt, weshalb sich Großstadt-Geschichten so gut in Kiel schreiben lassen – und weshalb der Kopftuch-Streit nur Deppen-Ketchup ist
Interview: DANIELA BARTH
Ist Feridun Zaimoglu der schreibende Arm der Turk-Power? Oder ein deutscher Dichter, wie ihn die FAS nach dem Bachmann-Preis 2003 tituliert hat? Jedenfalls bleibt der 1964 in Bolu geborene Wahl-Kieler, bekannt durch sein ungestümes Debüt Kanak Sprak, auch im Erzählband Zwölf Gramm Glück dem deutsch-orientalischen Spagat treu: Sieben Storys aus dem westlich-urbanen „Diesseits“ stehen fünf Erzählungen eines morgenländischen „Jenseits“ gegenüber – Geschichten von der Schnittstelle der Kulturen.
Ist Zwölf Gramm Glück ein Versuch, sich vom „Kanaken“ zu emanzipieren?
Na, klar: Jetzt hab’ ich das Label „deutscher Dichter“ – was gar nicht so schlecht ist. Es kommt nur darauf an, ob man den Zuschreibungen, die mir angedichtet wurden, Glauben schenkt. Am Anfang war ich der Malcom X der Türken, jetzt bin ich der „dichtende Deutsche“. Nur: Als Deutscher bin ich immer angetreten, auch mit dem ersten Buch.
Diese Labels bedeuten Ihnen also nichts?
Natürlich habe ich mit diesen Zuschreibungen zu tun. Nur, der Prototyp eines Schriftstellers ist doch der Geschichtenerzähler, der in ein Dorf gekommen ist – und wenn er die Bauern mit seinen Geschichten nicht fesseln konnte, ist er rausgejagt worden. Mein Job ist es, Geschichten zu schreiben, die die Leser dann hoffentlich erregen und fesseln. Selbstverständlich gebe ich dabei zu, dass ich zwei Muttersprachen, zwei Mutterzungen habe.
Das spiegelt auch die Form von Zwölf Gramm Glück : Der eine Teil des Bandes, „Jenseits“, folgt eher der orientalischen Erzähltradition, der andere, „Diesseits“, bedient sich des westlich-urbanen Stils. Wo ist das Verbindende ?
Sie treffen sich in der Technik der mündlichen Überlieferung. Das Komische ist dabei, dass die mündliche Überlieferung im Orient eine alte, lebendige Tradition ist, aber in den europäischen Metropolen über HipHop, Disco-Kultur und über Fußgängerzonen-Mackerei wieder in der Vordergrund geraten ist. An dieser Schnittstelle tummele ich mich gerne und halte das Ohr hin. Außerdem zieht sich durch alle Geschichten das archaische Moment. Es ist keinesfalls so, dass wir nur im Orient darauf stoßen würden. Auf archaische Affekte und Effekte trifft man auch im Herzen Europas.
Wäre der wilde Ghetto-Türke Zaimoglu gezähmt?
Wenn man meint, dass die Wut und meine Aufregung verebbt seien, liegt man falsch. In diesen Geschichten geht es ja um Menschen, die in unhaltbaren Situationen stecken – und dann herausgeschleudert werden. Die meisten würden nicht von allein auf die Idee kommen, sich mal in Bewegung zu setzen. Und in diesen Geschichten geht es um Liebe, irgendwie um Liebe. Immer sind es starke Männer, die auf starke Frauen treffen.
Im Buch hört sich das macho-hafter an: Da sagt einer der Protagonisten, ihm sei „eine Frau dazwischengekommen“…
So ist es aus der Warte des Mannes. Aber die Pläne der Männer entpuppen sich selbst bei einem flüchtigen Blick als eher öde: Der eine will sich umbringen, der andere als Islamist Sexbomben in die Luft jagen, ein anderer verdient sein Geld als Gigolo an der türkischen Ägäis – der rein männliche Zustand ist idiotisch. Deshalb müssen diese halb besoffenen Idioten das so formulieren, dass ,Frauen dazwischenkommen‘. Gott sei Dank werden sie von ihrer Heilssuche, der Selbstzerstörung oder der Zerstörung anderer, durch Frauen abgebracht. In jeder Geschichte geht es um ein Gramm Glück. Es stellt sich natürlich die Frage: Reicht dieses Grämmchen aus? Anscheinend ja. Aber es ist auch das Versprechen auf mehr. Mit einem Gramm fangen diese Menschen an…
Sind Sie ein Glücks-Dealer?
Dealer? Das ist gar kein schlechtes Bild. Man liefert Stoff und wenn der gut ist, kommen die Leute und wollen mehr. Und wenn man sie sogar süchtig machen kann, ist das großartig. Aber: Ich verkaufe Stoff als Süchtiger an Süchtige. Das ist der Unterschied. Ein Dealer sollte selber clean sein. Außerdem ist Dealer wieder Straße, grelle Realität! Mich ödet die Realität an. Ich muss immer etwas erfinden; auch wenn ich nicht schreibe, muss ich für Aufregung sorgen, denn sonst langweile ich mich zu Tode.
Aber die Grundsubstanz ist doch die Realität?
Aber ich erfinde dazu, ich bin ein Dichter. Ich spiegle die Phänomene der Realität in meinen Geschichten: im Diesseits wie im Jenseits. Mir gefällt es, aktuelle Probleme in existenzielle Situationen zu verpacken. Es ist Alchemie, ein bisschen Verwandlung, ein bisschen Zauberei.
Für Weltflucht sind die Themen ziemlich brisant: So geht’s in „Gottes Krieger“ um das Ausarten der muslimischen Religion in Fanatismus...
Der Islam ist keine Religion. Islam bedeutet Ergebenheit, die völlige Ergebenheit in einen Macht-Gott. Das ist mehr als Glauben. Ziel und Zweck ist die Ergebenheit, im besten Falle die Verschmelzung. Der Begriff Religion erklärt nicht, woher diese Kraft kommt, die Menschen dazu bringt, an vorderster Front zu kämpfen –mit welchen Mitteln auch immer.
Das klingt undistanziert…
Ich spreche das aus, was man sonst nur hinter vorgehaltener Hand sagt. Ich verschanze mich nicht hinter meinen Figuren. Das wäre zu plump: Es geht ja darum, psychologische Bilder zu schaffen. Und da reicht es nicht, dass man sich ein bisschen hineinfühlt. Sondern, wie beim Gotteskrieger geschehen: Dann bin ich der Gotteskrieger. Aber es geht nicht darum, Sprachrohr der Islamisten zu sein. Es geht überhaupt nicht um Parteinahme oder Kritik: Ich kann die Islamisten nicht kritisieren, weil ich auch in den Reihen der Gegenseite sehr viele Idioten finde. Etwa in der Kopftuch-Debatte. Unter politischem Deckmantel handelt es sich um nichts weiter als Emotional-Gemüse, Deppen-Ketchup! Eine Bernsteincollier-Feministin und Puppe von gestern wie Alice Schwarzer spricht einem Teil der kommenden intellektuellen Elite – kopftuchtragenden Frauen – quasi Berufsverbot aus. Das muss man sich mal vorstellen!
Die Diesseits-Erzählungen spielen in Großstädten, während Sie bereits seit 19 Jahren in Kiel leben...
Kiel ist ein gutes Rückzugsgebiet: Wenn man weitab von den Phänomenen lebt, hat man einen touristischen Abstand dazu. Ich werde da bleiben, weil mir der Norden einfach gefällt. Ich mag den Menschenschlag. Mir gefällt es, herum zu reisen, wirkliche Großstädte zu erleben, aber dann nach Kiel zurück zu kommen. Hier kennt mich mein Tabakhändler und meine Bäckerin hält mich für einen weltberühmten Schriftsteller, seit sie über mich in den Kieler Nachrichten gelesen hat. Es ist wunderbar unaufgeregt.
Feridun Zaimoglu: Zwölf Gramm Glück, KiWi, 240 Seiten, 17,90 Euro