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Archiv-Artikel

„Ich habe Angst nie kennen gelernt“

Die niederländische Schauspielerin Cox Habbema war fünf Jahre lang Ensemble-Mitglied am Deutschen Theater – in Ostberlin, noch vor dem Mauerfall. Sie erlebte die DDR als moderate Diktatur, in der man sich viel leisten konnte. Nun hat sie ihre Erinnerungen in einem Buch zusammengefasst

INTERVIEW STEFANIE TYROLLER

taz: Frau Habbema, Sie sind vier Jahre vor der Wende aus Ostberlin nach Amsterdam zurückgekehrt, haben von dort den Fall der Mauer verfolgt. Warum haben Sie gerade jetzt, fast 15 Jahre später, ein Buch über Ihre DDR-Zeit und die Wende geschrieben?

Cox Habbema: Gleich nach der Wende haben mich viele Kollegen, Freunde und Bekannte aus den Niederlanden gefragt, ob ich nicht was schreiben will. Die wollten aber nur eine harte Abrechnung mit der DDR von mir haben, und dazu hatte ich überhaupt keine Lust. Da wurde schon genug draufgehauen. Als die ganze Situation ein bisschen freundlicher wurde, wollte ich das Buch dann doch schreiben. Denn ich hatte es in den Jahren, in denen ich in der DDR gelebt habe, gut gehabt und musste feststellen, dass viele meiner ostdeutschen Freunde nach der Wende ausgesprochen unfreundlich behandelt wurden. Der Westen ist so sinnlos gewalttätig vorgegangen, weil das alles so schnell gehen sollte. Hätte man sich etwas mehr Zeit gelassen, hätte man das wirklich eleganter und besser machen können.

Was denn zum Beispiel?

Diese Wohnungsenteignungsgeschichten zum Beispiel waren tödlich für das Zusammenwachsen von Ost und West. Natürlich war es Unrecht, den Leuten nach dem Krieg die Wohnungen wegzunehmen, aber es war auch Unrecht, den Menschen die Wohnungen nach dem Ende der DDR wegzunehmen. Man stapelte Unrecht auf Unrecht, und das gab böses Blut. Schließlich lebten die DDR-Menschen auch in einem ordentlichen Staat, mit dem alle Staaten verkehrt haben. Die Niederlande zum Beispiel waren der größte Handelspartner der DDR. Wieso durfte man die Leute dann dessen, wofür sie gearbeitet hatten, wieder berauben?

Wie haben die Niederländer auf Ihr Buch reagiert?

Huu, negativ. Sie haben mir vorgeworfen, ich würde ein Land verteidigen, das keine Demokratie gewesen sei. Natürlich war es keine Demokratie in unserem Sinne, es war – zu meiner Zeit – eine moderate Diktatur, in der man sich ziemlich viel leisten konnte. Allerdings muss ich auch sagen, dass am Theater andere Gesetze galten. Da war sehr viel mehr möglich.

Da Sie sowohl in Holland als auch in der DDR gespielt haben, mussten Sie ständig die DDR-Grenze überqueren. Galt für Sie auch der Zwangsumtausch?

Im ersten Jahr schon. Dann kriegte ich eine Aufenthaltsgenehmigung. Ich sollte auch eingebürgert werden, das habe ich aber verweigert. Die wollten mich sogar für ein paar Monate in irgendein Lager stecken, um die DDR so richtig kennen zu lernen. Ich sagte, das ist doch alles gickerligick. Ich wohne hier, ich hab hier Freunde, ich weiß, wie das hier läuft. Da wurde erst ein bisschen gekichert, und dann ging das. Die haben für mich sogar Flugzeuge angehalten, damit ich noch meine Vorstellungen in Holland erreichen konnte. Ich war in einer merkwürdigen Ausnahmesituation, und das fanden die Leute eigentlich ganz nett, glaube ich.

Hatten Sie an der Grenze nie Angst, fühlten Sie sich nie bedroht?

Ich fühlte mich nie so richtig in Gefahr. Ich fuhr ja ein holländisches Auto, und ich hatte gute Kontakte zum Rias in Westberlin, wo ich jederzeit anrufen konnte. Als ich in Berlin ankam, eröffnete die erste niederländische Botschaft in Ostberlin. Ich bin zu allen Botschaftsfeiern gegangen, mein Mann Eberhard Esche ging mit. Und dann gingen natürlich die anderen Schauspieler vom DT auch gleich mit. Wenn man sich nicht um die Angst der anderen kümmerte, ging das alles ganz gut. Ich muss aber dazu sagen, dass es ein Vorteil war, dass wir aus Berlin und nicht vom Dorf kamen und dass wir eine große Gruppe waren.

Sie haben den Protestbrief gegen die Ausweisung von Biermann mit unterschrieben. Als die Hatz auf die Unterschreiber losging, hatten Sie auch dann noch keine Angst?

Nee. Ich war sogar entsetzt, wie viel Angst die anderen hatten. Ich hatte ja nie Angst. Ich habe auch in Amsterdam keine Angst. Ich laufe tief in der Nacht über die Straße, ich verkehre mit allen Menschen. Ich habe Angst nie kennen gelernt.

Aber Sie waren damit konfrontiert, nicht mehr auftreten zu können. Sie wurden aus dem Film rausgestrichen, den sie gerade drehen sollten.

Das war nicht lustig, das war sogar eine sehr unangenehme Zeit, auch zwischen uns Künstlern. Aber es gab eine Menge Leute, die sich da mehr aufregten als ich. Ich blieb ja trotzdem Ensemble-Mitglied am Deutschen Theater.

Und Sie konnten auch jederzeit wieder in die Niederlande zurückgehen.

Das Argument habe ich nie gebraucht, aber das haben natürlich alle gewusst. Trotzdem kriegte ich Berufsverbot. Ich hab mir dann in Holland einen VW-Bus gekauft, bin damit in die DDR gefahren und habe ein Reisetheater aufgemacht. Wir führten das Stück „Jahrmarktsfest zu Plundersweiler“ auf, das uns Peter Hacks geschenkt hat. Das war ein großer Erfolg. Was ich damit sagen will: Es kann schon sein, dass man vieles nicht durfte in der DDR. Ich hab trotzdem immer einen Weg gefunden, das zu kriegen, was ich wollte.

Warum wollten Sie denn unbedingt in Ostberlin Theater spielen?

Das Deutsche Theater war ein verflucht gutes Theater! Ich bin kein gefühlsduseliger Mensch. Hier in Holland arbeiten wir am Theater vor allem mit Gefühl, so nach dem Motto „Ich stampfe jetzt mit den Füßen, also bin ich böse“. Ich war nie gut darin, mit den Füßen zu stampfen. Die deutsche Art, Theater zu spielen, passte viel besser zu mir.

Galt das auch für den Film?

Ich hätte in Holland nie in solchen Filmen wie in der DDR mitspielen können. Dort wurden Frauen vor allem nach dem Motto „Hure oder Madonna“ besetzt. In der DDR wollten sie immer eine Geschichte erzählen. Das sind natürlich viel schönere Rollen. Das Bauernmädchen aus „Wie heiratet man einen König“ zum Beispiel war eine Traumrolle für mich.

Haben Sie sich als Frau in der DDR wohler gefühlt als in den Niederlanden?

Ja. Es gab nicht diese Geschlechterunterschiede. Alle Frauen haben gearbeitet, hatten ihr eigenes Leben, hatten ihr eigenes Geld. Ich hab hier wesentlich leichter gute, langjährige Freundinnen gefunden. Die wenigsten Niederländerinnen arbeiten oder engagieren sich neben dem Beruf noch ehrenamtlich. Sie haben immer noch nicht begriffen, dass man ein Netzwerk um sich braucht, dass es Spaß macht, die verschiedenen Seiten einer Gesellschaft kennen zu lernen. Ich weiß nicht, ob ich so geboren bin oder ob ich in der DDR so geworden bin, aber ich interessiere mich für fast alles auf dieser Welt.

Was haben Ihre niederländischen Freunde dazu gesagt, als sie in die DDR gezogen sind?

Es hat sie verwirrt. Ich war eine hübsche Frau, ich hatte eine Einladung nach Hollywood. Aber ich wollte nicht nach Hollywood, ich wollte was lernen. Darum bin ich in die DDR gegangen. Wenn du hübsch bist, hast du leicht Erfolg. Das hält zwei Jahre, und dann musst du darüber nachdenken, wie hässlich du jetzt bist oder ob die Leute dich jetzt noch lieben. Ich bin jetzt schon sehr alt, die Leute lieben mich immer noch, und ich habe immer noch viel Arbeit.

Wo kommt Ihre maßlose Energie her?

Von meinen friesländischen Vorfahren. Das ist friesländische Sturheit. Ich finde, das Leben ist so kurz, deshalb sollte es für mich und meine Umgebung so angenehm, lustig, froh und leicht wie möglich sein. Nach diesem Motto habe ich in der DDR gelebt, und es hat funktioniert, und so lebe ich auch jetzt in Amsterdam.

Sie sind gerade 60 Jahre alt geworden. Wollen Sie in Amsterdam bleiben?

Ich würde gerne wieder etwas in Berlin machen. Ich mache jetzt eine kleine Lesereise durch die alte DDR und schaue mal, was möglich ist. Einen Auftrag habe ich schon. Ich werde einen persönlichen Berlin-Reiseführer schreiben. Denn ich habe nach wie vor das Gefühl, dass die Westberliner nicht weiter nach Ostberlin kommen als bis zur Oranienburger Straße. Vielleicht kann ich sie mit so einem Reiseführer weiter in den Osten locken.