: Anmut und Randale
Zuerst Berlin ohne Telefon und Post, dann die Invasion des Westens: Eine Begegnung mit der australischen Schauspielerin und Türsteherin Carrie Hampel, die, wie als Godzilla in der Gefängnisserie „Hinter Gittern“, am liebsten androgyne Frauen spielt
VON JANA SITTNICK
Manchmal schaut Carrie Hampel in die Webseiten von RTL. Um zu testen, wie sie bei den Zuschauern ankommt. „Godzilla“, schreibt da jemand im Diskussionsforum, „sieht in echt ganz hübsch aus.“ Andere finden Godzilla Furcht einflößend. Die randalierende Knacki-Braut aus der RTL-Gefängnisserie „Hinter Gittern“ bringt Wirbel in die Fangemeinde. Obwohl sie nur eine kleine Nebenfigur ist.
Carrie Hampel hat drei Jahre lang Godzilla gespielt. Sie mag an der Rolle vor allem, dass sie so amoralisch ist. „Der Frau ist fast alles scheißegal, die kennt nicht mal diese Knastethik, untereinander zusammenhalten und so. Und sie sieht so hässlich aus und hat trotzdem Charisma.“ Mit falschen, fauligen Zähnen, Dreadlockperücke und angeschminkten Schwären im Gesicht wurde Carrie zu Godzilla. Erschrocken habe sie sich schon, wenn sie in der Maske steckte, gibt die Schauspielerin zu. „In der Zeit habe ich privat oft Hackenschuhe getragen und Ohrringe, um mich fraulicher zu fühlen.“
Die 32-jährige australische Performancekünstlerin unterläuft gern die festgelegten Bilder von weiblicher Anmut. Seit ihrer Jugend pflege sie ihre Androgynität, sagt Hampel mit Selbstgewissheit in der tiefen Stimme. Vielleicht war es Trotz, vielleicht der aufgeklärte Haushalt, aus dem sie kommt: „Daheim war es wichtig, welche Ideen man hatte, nicht so sehr die Oberfläche.“ Jedenfalls weigerte sie sich schon in der Schauspielschule in Melbourne, schöne Frauen zu spielen. Carrie Hampel geht ihre eigenen Wege: Neben der Schauspielausbildung sammelt sie Erfahrungen in Akrobatik und Performance-Arbeit, unter anderem bei den berühmten australischen Avantgarde-Akrobaten von „Circus Oz“. Mit 21 Jahren verlässt sie Australien, trampt durch die USA und Europa, mit ihrem ersten Soloprogramm im Gepäck. Sie tritt auf Festivals auf und schlägt sich mit Straßentheater durch. Und sie entwickelt ihre Darstellungsform, die sie „zeitgenössischer Zirkus“ nennt: Körpertheater mit politischer Botschaft und Unterhaltung.
1994 kommt Carrie Hampel nach Berlin. Ohne Sprachkenntnisse, ohne Papiere, ohne Geld. „Ich wusste nicht, worauf ich mich da einlasse“, sagt Carrie Hampel lachend, „am Anfang wohnte ich zwei Wochen bei Leuten, die mich beim Trampen mitgenommen hatten. Auch in meiner ersten Wohnung hatte ich kein Telefon, und meine Post kam nicht an. Ich fiel in ein Loch.“ Der offizielle Weg – mit Künstler-Visum, Sprachkurs und Fördergeldern – ist nichts für sie, nicht „existenziell“ genug, wie sie sagt. Stattdessen tritt sie in den Mitternachtsshows im Varieté Chamäleon auf, verkauft nachts selbst geschmierte Brote in den Bars, putzt in Kneipen.
Und trotzdem kommen die ersten Kontakte zur Kunst- und Clubszene schnell. In ihrem ersten Winter in Berlin produziert sie die „Amazon woman show“ im Haus Schwarzenberg. Weitere Stücke folgen. Die abgeklärte Australierin hat den Umbruch im Osten erlebt. Sie spricht davon, „wie der Westen angerollt kam“. Sie spricht von einer Invasion ohne Krieg, für sie eine ebenso seltsame wie einmalige Situation, in der es sich gut einrichten lässt.
Die meiste Popularität indes bringt ihr ein ganz anderer Job. „Man hat mich die charmanteste Türsteherin Berlins genannt“, erzählt Carrie stolz. Noch immer spreche man sie darauf an, obwohl das zwei Jahre her ist. Von 1998 bis 2002 steht sie an Clubtüren, erst im legendären „103“, und als es den nicht mehr gibt, im „White Trash“. Sehr elegant habe sie sich angezogen zu ihren Schichten, mit Rock und in Pumps, die Haare aufgesteckt, erzählt sie. „Die Leute sollen sich schon an der Tür des Clubs gut fühlen und nicht ausgegrenzt.“ Die Tür, so Carrie, sei die Grenze und sie die Wächterin. Und wenn es doch manchmal Ärger gibt, „wenn Leute betrunken waren“, räumt sie ein, „dann habe ich mit denen ruhig geredet, habe die am Arm genommen und rausgeführt. Das hat funktioniert.“
Vielleicht schreibt Carrie Hampel bald ein Buch über die Psychologie der Tür. Zurzeit arbeitet sie aber an einem neuen Theaterstück – und im Sommer wird sie einen Film drehen. Ob sie in dem Familiendrama die Mutter oder die Geliebte spielen wird, steht noch nicht fest. Vielleicht übernimmt sie einfach beide Rollen. Und unterläuft auch die.