Nehmt die Farben zurück

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind nicht günstig für das unabhängige US-amerikanische Kino. Dass das die Kreativität nicht schmälern muss, zeigt die Filmreihe „Unknown Pleasures“

VON DETLEF KUHLBRODT

Ruhmreich ist die Geschichte des amerikanischen Independent-Films. Man denkt an die großen Helden von früher, an Kenneth Anger, Jonas Mekas, die große Zeit der B-Filme von Roger Corman, George Romero oder Tobe Hooper („Texas Chainsaw Masacre“), an Andy Warhol, „Easy Rider“, David Lynchs „Eraserhead“, John Waters’ Kino der Überschreitung, an Jim Jarmush und andere.

Die Zeiten haben sich geändert. 2008 „war ein turbulentes Jahr für den unabhängigen amerikanischen Film. Zahlreiche auf Independent-Kino spezialisierte Verleiher haben ihre Tätigkeiten eingestellt oder stark reduziert. Der frühere Präsident von Miramax, Mark Gil, sprach apokalyptisch von einem ‚einstürzenden Himmel‘ über dem amerikanischen Independent-Film“, heißt es in der Ankündigung für das „American Independent Film Fest“, das vom 1. bis zum 27. Januar im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz stattfindet. Den schlechten Vorzeichen zum Trotz will es belegen, dass die Kreativität der Filmemacher von den Rahmenbedingungen nicht betroffen ist. Seit Jahren, sagen die Veranstalter, gab es nicht mehr so spannende Independent-Filme wie heute. 22 davon werden auf dem „Unknown Pleasures“-Filmfest gezeigt.

Große Namen sind vertreten: Amos Poe, einer der berühmtesten Regisseure der New Yorker New-Wave-Bewegung zwischen 1975 und 1985, der mit „Empire II“ eine Großstadtsymphonie gedreht hat, oder Abel Ferrara, mit dessen „Chelsea on the Rocks“ (2008) das Festival eröffnet wird. Der Film möchte dem nicht nur von Leonard Cohen besungenen New Yorker Beatnikhotel ein Denkmal setzen. Zum Abschluss gibt es Darren Aronofskys Film „The Wrestler“ (2008), der im September in Venedig den Goldenen Löwen gewann. Die Hauptrolle, einen Wrestler, der in den 80er-Jahren ein Superstar war und bei seinem Comebackversuch einen Herzinfarkt erleidet, spielt Mickey Rourke.

Dazwischen gibt es allerlei. Zum Beispiel ein paar Mumblecore-Filme, also auf alltägliche Probleme der twentysomethings fokussierte Ultra-Low-Budget-Produktionen wie etwa Great Gerwings „Nights and Weekends“ (2008) oder Aaron Katz' „Quiet City“ (2007), ein formal recht schöner Film, der ab und an ein wenig experimentell flackert und phasenweise sehr still ist. Es geht um eine junge Frau, die in New York ankommt, die Freundin verpasst, stattdessen einen jungen Mann kennenlernt. Im wirklichen Leben wäre die Geschichte sicher bedeutsam und interessant, nur auf der Leinwand nicht so richtig.

Sehr gut gefiel mir dagegen Joshua Safdies „The Pleasure of Being Robbed“ (2008), der fast zurückhaltend von der jungen Eléonore erzählt. Verloren streift sie durch New York und klaut Sachen, eher aus Neugier als aus Gewinnsucht. Einmal nimmt sie einen Koffer mit, in dem ein Wurf junger Katzen und ein netter kleiner Hund hausen. Oder sie findet in einer geklauten Tasche einen Autoschlüssel und mit Hilfe eines jungen Mannes, der mit seinem Fahrrad vorbeikommt, den dazugehörigen Wagen. Sie kann nicht fahren. Der junge Mann bringt es ihr bei. Sie fahren nach Boston. Am nächsten Morgen fährt sie allein zurück. Atmosphärisch dicht geht es – wie auch in einigen anderen Filmen – um großstädtische Entfremdungserfahrungen.

Recht schön ist auch der in drei Wochen gedrehte, mehrmals ausgezeichnete, politisch ambitionierte „Medicine For Melancholy“ (2007) von Barry Jenkins. Der Film spielt in San Francisco, nicht nur der Stadt mit dem Hippie- und Beatnikmythos, sondern auch der amerikanischen Metropole mit dem geringsten Anteil afroamerikanischer Bevölkerung. Jo und Micah lernen einander auf einer Party kennen und verbringen betrunken eine Nacht miteinander. Beide sind eher Mittelklasse. Im Nachhinein ist es ihr etwas peinlich; er ist aber sehr verliebt. Sie trennen sich; er findet sie mit Hilfe von MySpace wieder. Sie verbringen einen Tag zusammen. Er hat ein schwarzes Bewusstsein; sie sagt, die Hautfarbe dürfe nicht so wichtig sein, es sei falsch, sich darüber zu definieren. Sie gehen durch die Stadt; da und dorthin, diskutieren über Rasse und Klasse, enden in einer Diskothek. Das klingt etwas langweilig, ist aber prima. Die Farben in diesem Film sind sehr zurückgenommen und manchmal fast schwarz-weiß.

In Lance Hammers Erstlingsfilm „Ballast“ (2008) sind die Farben nur ein wenig blasser als in echt, ab und an haben die Bilder auch einen Grünstich. Das fällt einem vermutlich so sehr auf, weil man sich an die lügnerische Farbenpracht moderner Monitore gewöhnt hat. Der Film ist ziemlich hart und erzählt von einem 12-jährigen Jungen, der gelegentlich für eine Gruppe jugendlicher Drogendealer arbeitet. Die Szenen, in denen der Junge Erwachsene mit einer Pistole bedroht, sind extrem beeindruckend.

Klasse ist Azael Jacobs „Momma's Man“ (2008). Es geht um einen etwa 40 Jahre alten Mann mit Frau und Kleinkind. Aus geschäftlichen Gründen reist er nach New York und besucht dort seine bohemehaften Eltern. Umgeben von alten Dingen, Briefen, Tagebüchern gerät er in den Sog der Vergangenheit, besucht alte Freunde und verschiebt den Rückflug immer wieder. Seiner Frau sagt er anfangs, er müsse noch bleiben, weil seine Mutter so krank ist, doch eigentlich will er etwas für sich und im Verhältnis zu den Eltern klären, was er selber nicht benennen kann.

„Unknown Pleasures. American Independent Film Fest“, Babylon Mitte, bis 27. 1., Programm unter www.babylonberlin.de/unknown.htm