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Archiv-Artikel

Im Namen des Vaters

In Indien gilt politische Macht als erbbar – besonders beim diesjährigen Wahlkampf

DELHI taz ■ Als Rahul Gandhi am 5. April in Amethi seine Nominierung als Kandidat für die Parlamentswahl einreichte, begleiteten ihn Mutter, Schwester und Schwager. Amethi, der Wahlkreis in der Ganges-Ebene, ist der „Familiensitz“ der Gandhis. Schon Großmutter Indira, Vater Rajiv und Mutter Sonia waren von dort ins Parlament gewählt worden. Mit dem 33-jährigen Rahul steigt nun die fünfte Generation in die Politik ein: Urgroßvater Jawaharlal Nehru war Indiens erster Premier, und dessen Vater gründete einst die Kongresspartei mit.

Indien ist stolz auf seine demokratische Tradition, trotzdem tolerierte es jahrzehntelang die Vorherrschaft eines Clans, bei dem es für den Zugang zu den höchsten Ämtern genügte, den klingenden Familiennamen zu tragen. Nach 42 Jahren „Dienst am Land“ gibt es seit 1989 zwar keinen Nehru-Gandhi mehr als Premier. Doch Sonia Gandhi bleibt als Chefin der Kongresspartei die Kronanwärterin und Tochter Priyanka wird bereits als Wiedergeburt Indiras gefeiert.

„Dynastie verträgt sich nicht mit Demokratie!“, kritisiert die Regierungspartei BJP. Der Soziologe Dipankar Gupta von der Nehru-Universität in Delhi stimmt zu: „Prinzip der Demokratie ist die Aufhebung von Privilegien, die auf Familie, Kaste oder Status basieren. Nichts ist tragischer für eine Demokratie, als wenn ihre Kernprinzipien im Namen der Demokratie verhöhnt werden.“ Doch genau das passiert im aktuellen Wahlkampf, und zwar nicht allein durch die Opposition: Um die 543 Sitze im Parlament kämpfen 125 Kandidaten mit Hilfe ihres Familiennamens.

„In unserer Partei wird man nicht in ein Amt hineingeboren, sondern muss sich hocharbeiten“, verkündet Premierminister Atal Behari Vajpayee. Zumindest auf ihn selbst trifft das zu: Der ehemalige Lehrer diente lange als „Sozialarbeiter“ der Hindu-Kadertruppe RSS, als Redakteur von Parteiblättern und als Gewerkschaftssekretär für den Verband der Bahnhofsvorstände, bevor er allmählich die Leiter politischer Ämter hochstieg. Erst mit 74 Jahren wurde er vor sechs Jahren Premier.

Doch scheint diese Karriere auch bei der BJP eher die Ausnahme. Im laufenden Wahlkampf gibt es gleich mehrere Beispiele, wie auch die BJP sich darum bemüht, Familienmitglieder in der Regierung zu etablieren: Der Sohn von Finanzminister Jaswant Singh ebenso wie der Spross der Regierungschefin von Rajasthan. In Bombay hat der alternde Demagoge Bal Thackeray seinen Sohn zum Nachfolger gesalbt, im Punjab kandidiert Naresh Gujral, dessen Vater einmal Premier war. Vajpayee selbst hat keine Kinder, aber eine seiner Nichten kandidiert. Den Vogel schoss die BJP ab, als sie sich auch noch der Oppositionsdynastie bediente und ausgerechnet Varun Gandhi und dessen Mutter Maneka in die Partei aufnahm. Sie sind Vetter und Tante von Rahul Gandhi und damit Teil der Familie des Kongressgründers.

Die „Familienpolitik“ der großen Parteien findet auch auf regionaler Ebene Nachahmer. Offenbar sind Familienbande noch immer wirksam in einem Land, in dem diese Sozialeinheit weiter den wichtigsten Gesellschaftskitt bildet. Professor Gupta sieht auch die Wirkung einer Kastengesellschaft, in der zukünftiger Beruf und gesellschaftlicher Status bereits durch die Geburt bestimmt sind.

Aber es ist ausgerechnet diese Öffentlichkeit, welche die Vorwürfe der Wissenschaft zu desavouieren scheint. „Solange die Wähler uns ihre Stimmen geben“, sagte einer dieser Politikersöhne in einer TV-Sendung, „ist das eine demokratische Entscheidung.“

Dasselbe wird Rahul Gandhi – bislang eine politischer Nobody – gedacht haben, als er nach Amethi kam. Die Fahrt glich einem Triumphzug. Tausende Menschen säumten die Straßen und überschütteten ihn mit Rosenblättern. Im Gedränge fing ein Mikrofon die Stimme eines Mannes ein: „Er kommt aus einer guten Familie. Er ist ein guter Mann“. BERNARD IMHASLY