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Archiv-Artikel

Täglich Girls-Day

Das Bielefelder Projekt „Girls Act“ will Mädchen aus Migrantenfamilien selbstbewusster machen im Umgang mit alltäglichen Diskriminierungen

Wir wollen Mädchen gegen subtile Diskriminierungen in Alltag und Schule stärken

VON ROBERT B. FISHMANN

Eigentlich ganz normal, die Geschichte vom bedrohlichen Mohren im „Struwwelpeter“, die „Zehn kleinen Negerlein“ oder Tim und Struppi auf Safari im Kongo: Ein Weißer am Steuer des Autos, die Einheimischen schleppen die Ausrüstung. Und wer hat Angst vorm schwarzen Mann? „Mädchen mit Migrationshintergrund wissen immer, was rassistisch ist“, sagen Güler Arapi und Sabine Lück vom Bielefelder „Girls Act“, einem antirassistischen Mädchenprojekt.

Fatima* ist 20 Jahre alt, ihre Eltern stammen aus Marokko. Nach der 4. Klasse sollte sie auf die Hauptschule. Obwohl sie perfekt Deutsch spricht und gute Noten hatte. „Du schaffst das nicht“, hatte ihre Lehrerin behauptet, “deine Mutter ist Analphabetin, dein Vater hat keine Zeit für dich“. Doch Fatima ist ihren Weg gegangen: Qualifizierter Hauptschulabschluss, später Berufskolleg. Als sie Abitur machen wollte, hatten ihre Lehrer wieder Einwände. „Das haben sie mir nicht zugetraut – aber ich bin ein Trotzmensch“, entgegnet Fatima und lächelt. Jetzt steht sie kurz vor dem Abitur.

Aishe*, Tochter tunesischer Eltern, sollte auf die Sonderschule. „Weil ich dunkler war als die anderen, haben mich die Kinder in der Grundschule immer geärgert und ausgegrenzt“, erinnert sich die heute 22-Jährige. Ihre Noten wurden immer schlechter. Schließlich wollte die Klassenlehrerin das Mädchen auf die Sonderschule schicken. Später, auf der Hauptschule, fand Aishe eine Lehrerin, die sie zum Weiterlernen ermutigte. So schaffte sie es bis zum Abitur auf dem Oberstufenkolleg.

Dort arbeiten die beiden jungen Frauen im „Biografieprojekt“ von Girls Act mit. Gemeinsam haben sie ihre Schulgeschichten zusammengetragen und aufgeschrieben. „Ein schmerzhafter Prozess“, erinnern sie sich. Bei vielen kamen Verletzungen hoch – und Wut. Wut auf ein Schulsystem, das, wie mehrere Studien inzwischen belegen, „Kinder von Migranten institutionell benachteiligt“.

Güler Arapi und Sabine Lück wollen die Mädchen stärken, damit sie die vielen subtilen Benachteiligungen im Alltag verkrafte. Dabei hinterfragen die Mädchen auch ihre eigenen Vorurteile: Rassismus, resümiert Sabine Lück, fängt schon da an, wo man die Menschen nach Äußerlichkeiten unterscheidet – und dann in Schubladen steckt.

In Workshops probieren die Teilnehmerinnen Handlungsmöglichkeiten aus. Was kann ich tun, wenn jemand in der Straßenbahn ein Mädchen dumm anmacht, weil sie ein Kopftuch trägt? Manchmal inszenieren sie unangenehme Begegnungen selbst und testen die Reaktionen der Passanten, als Vorlage dient das „unsichtbare Theater“ nach Augusto Boal. In Zukunftswerkstätten entwickeln die jungen Frauen Bausteine einer Welt ohne Rassismus. In Rap- und Capoeira- Tanzworkshops beschäftigen sie sich künstlerisch mit dem Thema. „Wir bieten an, was den Mädchen auch Spaß macht“, erklärt Sabine Lück. Zu einem „Anti-Rassismus-Workshop“ würde sich keine anmelden.

Die Fortbildungen, die Girls Act inzwischen auch für „Multiplikatorinnen“ anbietet, sind ausgebucht. Allerdings melden sich nur sehr wenige Lehrerinnen und Lehrer an. Sabine Lück vermutet dahinter eine Abwehrhaltung: „Rassismus gibt es nur bei den anderen“, würden viele Pädagogen denken. In der Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer kommt das Thema bisher noch kaum vor. „Antirassismus muss in den Schulen als Querschnittsaufgabe verankert werden“, fordern die beiden Girls Act-Leiterinnen.

Die Bielefelder Anti-Rassismus-Projekte finden inzwischen bundesweit Beachtung. An der Wand hängen Urkunden von SOS Rassismus und vom Familienministerium.

* Name von der Redaktion geändert