Matthias Wegner liest im Literaturhaus aus seiner Biographie über die verschiedenen Leben der Isa Vermehren
: Vom Kabarettstar der 30er zur katholischen Nonne

„Ich habe von meinem Leben immer den Eindruck gehabt, dass es schnurgerade gegangen ist – so wie ein Flugzeug, das langsam abhebt und dann ziemlich gerade sein Ziel anfliegt.“ So sagt es die heute 86-jährige Isa Vermehren. Als 16-Jährige ein Kabarettstar der 30er Jahre, war sie mit Ende 20 sicher, dass sie katholische Nonne werden will.

Allein dieser Wandel weckt Zweifel an ihren Worten, die der Hamburger Autor Matthias Wegner seiner Biographie Ein weites Herz. Die zwei Leben der Isa Vermehren als Motto vorangestellt hat und aus der er jetzt im Literaturzentrum liest. Dabei scheint auch sein Untertitel der Stringenz ihres Lebens zu widersprechen: Was hat es nun auf sich mit den „zwei Leben“? Isa Vermehren wurde 1918 geboren. Die in der gutbürgerlichen Familie geltenden Maßstäbe der Offenheit und Toleranz gingen mit denen des aufkommenden Nationalsozialismus nicht zusammen: Das Entsetzen des Mädchens angesichts der Veränderungen war groß, seine Widerständigkeit spontan. Als sie die Hand nicht zum Hitler-Gruß hob, weil es einer „nicht arischen“ Mitschülerin verboten war, wurde Isa der Schule verwiesen.

In die folgende Ratlosigkeit hinein erfolgte der Vorschlag, die musikalisch Begabte könne doch in Berlin im politischen Kabarett „Katakombe“ auftreten. Als „Mädchen mit der Knautschkommode“ feierte sie Erfolge auf der ständig von der Schließung durch die Nazis bedrohten Bühne. Eine intensive persönliche Begegnung führte 1938 dazu, dass Isa Vermehren zum Katholizismus konvertierte. Ein weiterer Einschnitt war 1943 die Flucht des Bruders nach England: Die Familie wurde in Sippenhaft genommen, sie selbst ins KZ Ravensbrück geschafft. Das größte Grauen erlebte sie dort zwar nicht am eigenen Leibe, wurde aber täglich dessen Zeugin.

1946 verfasste sie eines der ersten Bücher über die Erfahrung in den Lagern: Reise durch den letzten Akt. Ihr Glaube hatte sich inzwischen gefestigt. 1952 trat sie in den Orden Sacré Coeur ein. Seitdem hat Isa Vermehren eine Art Karriere als Pädagogin gemacht: als Lehrerin und schließlich Schuldirektorin, davon 14 Jahre in Hamburg, hat sie überall dort gewirkt, wohin der Orden sie schickte.

Wegners Buch ist eine Hommage an eine streitbare Christin. Als solche gewinnt sie Konturen, wird ihre Haltung zwischen Konservatismus und analytischem Widerspruchsgeist deutlich. Die Kapitel, die ihr Hadern mit der Liberalisierung der Kirche Mitte der 60er beschreiben und den Einfluss der 68-er Bewegung zählen zu den lebendigsten. Das erste Leben aber, jenes der Kabarettistin und Schauspielerin, bleibt blass. Es scheint tatsächlich, als sei sie da mehr hineingeraten und die politische Gratwanderung, die die „Katakombe“ wagte, äußerlich geblieben.

Isa Vermehren hatte den Autor gewarnt: Es gebe keine „Brucherfahrungen“ in ihrem Leben. Wegner versucht den Kompromiss, hält an den zwei Leben fest und versucht im ersten schon die Anlagen fürs zweite zu entdecken. Wie aber ist die tiefe Gläubigkeit zu fassen? Es gab kein „Erweckungserlebnis“, keinen Bruch. Das Phänomen entzieht sich, und Wegner gerät etwas ins Schlingern. Im zweiten Teil, in dem der Glaube als Grundlage schon geklärt ist, kann er seinen Blick auf Isa Vermehren frei entfalten, ohne seine Achtung vor dieser Frau zu verhehlen. Carola Ebeling

Matthias Wegner: „Ein weites Herz. Die zwei Leben der Isa Vermehren“ München 2003, 368 S., 22 Euro Lesung: Mi, 28.4., 20 Uhr, Literaturzentrum, Schwanenwik 38