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Archiv-Artikel

Fortdauernde Fremdfürsorge

In Bremen gab es im abgelaufenen Jahr keinen Menschen mit Behinderung, der ein „Persönliches Budget“ bekam. Die Idee ist „noch nicht gescheitert“, sagt der Behindertenbeauftragte

von Jan Zier

„Jetzt entscheide ich selbst.“ Ausrufezeichen. Doch wenn das so ist, so wie auf jenem Plakat der Bundesregierung – dann entscheidet in Bremen gar niemand selbst. Jedenfalls unter den angesprochenen Menschen mit Behinderungen.

Dabei war das so beworbene „Persönliche Budget“ vor einem Jahr angetreten, um einen „Paradigmenwechsel“ in die Behindertenpolitik zu bringen. Nicht weniger. Statt Dienst- oder Sachleistungen sollen Berechtigte fortan Geld und Gutscheine bekommen können. Als „ExpertInnen in eigener Sache“ entscheiden sie dann selbst, welche Hilfe wann und durch wen ihren Bedürfnissen entspricht. „Mit dem persönlichen Budget werden behinderte Menschen zu Käufern, Kunden, und manchmal auch zu Arbeitgebern“, heißt es in einer Broschüre des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMS). Doch in Bremen, scheint es, ist diese Autonomie noch nicht angekommen: Ganze 15 Anträge sind im ganzen abgelaufenen Jahr beim Amt für Soziale Dienste (AfSD) in Bremen eingegangen. Und kein einziger wurde genehmigt. Offizielle Begründung: Sie seien „nicht zutreffend“ gewesen.

„Es gibt kein Geld für Unbestimmtes“, sagt Karin Lüsebrink vom AfSD – „das ist ein Missverständnis“. Zudem hätten viele nur Gelder für Pflege oder Hauswirtschaftliches beantragt, und das, sagt Lüsebrink, sei eben „nicht einschlägig“, sondern werde nur ergänzend bewilligt. Und was von den Krankenkassen nicht übernommen werde, dafür komme auch das AfSD nicht auf. Bremen unterscheidet sich damit deutlich von den bundesweit acht Modellregionen, die das neue System schon seit 2004 erproben. Dort wurden in einer Studie allein zwischen 2005 und Ende Juni 2007 fast 500 Budgets dokumentiert, besonders zahlreich in Berlin, Rheinland-Pfalz sowie im bayerischen Regierungsbezirk Mittelfranken. Die Ansprüche bewegen sich dabei in aller Regel zwischen 200 und 800 Euro im Monat, das kleinste Budget betrug 36, das größte 12.683 Euro. „Mehr Geld als bisher sollte dabei niemand erwarten“, heißt es aus dem BMS.

In Bremen, sagt Wilhelm Winkelmeier von Selbstbestimmt Leben, habe sich die Existenz solcher trägerübergreifenden Budgets „noch nicht herumgesprochen“. Und auch Jessica Volk vom Martinsclub findet, dass Bremen sich da „nur sehr schleppend“ bewege, auch wenn zuletzt „einiges“ passiert sei. „Die Behörde müsste da aber noch mehr informieren“, sagt Volk, denn es sei für Behinderte oft noch „relativ schwierig“, überhaupt an Informationen zu kommen. Zwar hätten sich in den vergangenen ein bis zwei Jahren „viele“ mit dem persönlichen Budget beschäftigt, sagt Bremens Landesbehindertenbeauftragter Joachim Steinbrück – allerdings wohl „eher theoretisch“. Die Unsicherheit bei den Beteiligten sei nach wie vor relativ groß. „Die tun sich alle schwer“, sagt Steinbrück, das sei nach einem Jahr deutlich.

Im Sozialressort sieht man in der fehlenden Nachfrage nach persönlichen Budgets indes ein gutes Zeichen: „Der Bedarf in Bremen ist gedeckt“, sagt Lüsebrink – während andere Bundesländer in Umgang mit Behinderten mitunter „Jahre und Jahrzehnte“ hinter bremischen Standards zurück lägen. In Bremen gebe es eine „breit gefächerte Angebotslandschaft“. Steinbrück hingegen mag in der Zwischenbilanz derzeit weder ein gutes noch ein schlechtes Zeichen für die bremischen Einrichtungen sehen, und auch beim Martinsclub oder bei Selbstbestimmt Leben hält man sich mit einer Bewertung noch zurück.

Das Problem ist: Ein persönliches Budget bringt zusätzlichen bürokratischen Aufwand mit sich. Da habe mancher „Angst vor Überforderung“, sagen Volk und Winkelmeier übereinstimmend, und für Budgetbegleiter gibt es kein zusätzliches Geld. Die stationären Einrichtungen hingegen bieten Menschen mit Behinderungen „Rundum-Sorglos-Pakete“ an, wie Steinbrück das nennt. Die Träger der Behindertenhilfe hätten also keinen wirtschaftlichen Anreiz, diese Pakete aufzuschnüren und in „budgetfähige Päckchen aufzuteilen“, die sie zum Kauf anbieten könnten. „Möglicherweise besteht hier ein strukturelles Hemmnis“, so der Landesbehindertenbeauftragte. Doch ist die gute Idee aus seiner Sicht „noch nicht gescheitert“. Allerdings bedürfe es noch einiger Anstrengungen, um es voran zu bringen.