: Erfolgreich ohne aufzufallen
Am Wochenende wird Stefan Reuter endlich sein 500. Bundesligaspiel bestreiten. Obwohl der Dortmunder der erfolgreichste Spieler der 90er Jahre ist, bleiben wenige Erinnerungen haften
AUS DORTMUNDDANIEL THEWELEIT
Ein bisschen neidisch ist Matthias Sammer schon auf Stefan Reuter. Weil Reuter am Samstag in Leverkusen mit Borussia Dortmund sein 500. Bundesligaspiel bestreiten wird, „ich hätte schon gerne auch ein bisschen länger gespielt“, sagt der einstige Mitspieler und heutige Trainer; vor allem aber beneide er „das wunderbare Mittelmaß zwischen Professionalität, Menschlichkeit und Lebensqualität“, das Reuter gefunden habe. „Lebensqualität“, ein Wort, das auch Reuter gerne verwendet, wenn er über das Geheimnis seiner bemerkenswert langen Karriere spricht. Mit gesundem Teint sitzt er da, 37-jährig, die Schläfen werden langsam grau, der Kopfbewuchs wird dünner, und das Gesicht zeigt Spuren einer gewissen Wohlstandsfülle. „Ich bin privat einfach sehr zufrieden und mit mir im Reinen“. So banal es klingen mag, dieser Umstand ist eine fundamentale Sache, gewissermaßen die Grundlage des Reuterschen Lebensentwurfes.
Der auf Sensationen geeichten Fangemeinde mag das bisweilen langweilig erscheinen, es enthält indes exakt jene Solidität, die Reuter auch stets auf dem Platz auszeichnete. Der Franke hat diese innere Ausgeglichenheit, dieses Talent zur Selbstbeherrschtheit in fußballerische Qualität umgesetzt. Nur eine einzige Rote Karte sah der Defensivspieler in den bisherigen 499 Partien, für den 1. FC Nürnberg, Bayern München und Borussia Dortmund. Mit den Bayern wurde er zwei Mal Meister, gelangte nach einem Jahr in Turin nach Dortmund, wo er drei Meisterschaften und 1997 den Champions-League-Titel feiern durfte. Er wurde 1996 Europameister, ist der letzte in der Bundesliga aktive Weltmeister von 1990 und mit 111 Europapokalspielen deutscher Rekordhalter in dieser Kategorie.
Soweit die nackten Erfolge, mehr Spektakel hat der Mann aber nicht zu bieten. Fast 20 Jahre Profifußball, ein Leben in der Öffentlichkeit und noch nicht einmal ein kleines Skandälchen enthält die Vita des dreifachen Familienvaters. „Skandale?“, fragt er zurück, nein, an solche Dinge könne er sich nicht erinnern, und nach einigen Sekunden fällt ihm wohl doch irgend ein Unfug ein, den er einmal getrieben hat, sagt aber: „Der Genießer schweigt“. Wohl wegen der fehlenden Kanten hat ihn die FAZ einmal treffend den „Anti-Star“ genannt.
Zwar ist Stefan Reuter der letzte Vertreter der Matthäus-Generation, einer Generation deren Superstar Diego Maradona war. Der Dortmunder erinnert in seiner Lebensführung viel mehr an Zinedine Zidane, dem gegenwärtig besten Spieler der Fußballwelt. Reuter war schon Anfang der 90er Vorbote des typischen Stars des neuen Jahrtausends, eines Spielertypus, über den Berti Vogts sich als Bundestrainer Mitte der 90er Jahre wegen angeblich fehlender Härte im Leben und auf dem Platz ärgerte.
Reuter ist ein Spieler, der bewies, dass man die Lebensumstände des Wohlstandskindes zur Tugend machen kann. „Ich habe einfach Glück und ein gutes Elternhaus gehabt“, erzählt er und nennt als zweites Erfolgsgeheimnis neben der Fähigkeit zur Lebensqualität, „dass ich über viele Dinge einfach nicht so viel nachdenke“. Floskeln wie jene vom nächsten Spiel, das immer das wichtigste sei, hat Reuter kunstvoll mit Leben gefüllt, und über Dinge, die einmal passiert sind, grüble er „ebenfalls nicht sehr lange nach“, erzählt er. Auf den ersten Blick könnte man meinen, der Mann sei ein wenig einfältig – ein Gedanke, der sich aber kaum aufrecht erhalten lässt. Im Gegenteil, seine erstaunliche Gelassenheit inmitten der hysterischen Fußballwelt zeugt von einer hohen Intelligenz.
Nicht zuletzt aufgrund dieser Ferne von jedem Extrem wurde Reuter stets mit Anerkennung bedacht, verzaubert hat er die Zuschauer aber nur selten. Eine der wenigen Ausnahmen waren seine beiden Tore am vorletzten Spieltag 1995, als er einen 1:2-Rückstand des BVB in Duisburg in einen 3:2-Sieg verwandelte und den Weg zur ersten Meisterschaft seit den 60er Jahren ebnete. „Daran denke ich immer wieder“, sagt Reuter, der Dortmund nach 12 Jahren als seine „echte Heimat“ bezeichnet. Hier möchte er auch, wenn er seine Profilaufbahn nach dieser Saison beendet, weiterarbeiten, „am liebsten irgendwo im Management, wir führen da interessante Gespräche“, lässt er wissen. Zuvor hat er aber noch einen wichtigen Job zu erledigen: In allen Stadien der Bundesliga hat er schon einmal gewonnen, aber noch nie in Leverkusen. Damit das jetzt klappt hat er eine Prämie ausgesetzt für jenen Mitspieler, der ihm ein Tor auflegt, seit März 1997 gelang ihm kein Bundesligatreffer. Aber Geschichten wie ein letztes Tor in Spiel 500 hat das Schicksal eigentlich den engeren Freunden des Extremen vorbehalten.