: Gemeinden im Schlamassel
Auch nach Gipfel im Kanzleramt: Streit zwischen den Jüdischen Gemeinden geht weiter. Hamburg pocht darauf, die Belange der Schleswig-Holsteiner mitverwalten zu dürfen. Es geht aber nicht nur um Formalia, es geht auch um die ganze Richtung
von PETER AHRENS
Am 6. Juni wird es im schleswig-holsteinischen Bad Segeberg eine große Feier geben. Dann wird der Grundstein für die neue Synagoge gelegt, der Landesrabbiner wird ebenso erscheinen wie politische Prominenz. Dass der Vorsitzende der benachbarten Hamburger Gemeinde, Andreas Wankum, als Gast zum Gratulieren erscheinen wird, dürfte dagegen wenig wahrscheinlich sein. Wankum liegt mit der Bad Segeberger Gemeinde seit Monaten über Kreuz. Man streitet über die Frage, ob die Schleswig-Holsteiner einen eigenen Landesverband gründen dürfen, man streitet um öffentliche Förderung, und man streitet auch über die ganze Richtung: Die Hamburger Gemeinde gilt gemeinhin als konservativ, Segeberg dagegen ist Mitglied in der Union progressiver Juden.
Die Union wiederum liegt bundesweit im Zwist mit dem Zentralrat der Juden darüber, ob dieser das alleinige Recht habe, über staatliche Fördermittel zu verfügen. Auch ein Gespräch mit Bundeskanzler Gerhard Schröder am Mittwoch hat darüber keine Einigung erzielt. Dabei wäre die Lösung aus Sicht des Bad Segeberger Vorstandsprechers Walter Blender ganz einfach: Man müsse den progressiven Gemeinden lediglich formal die Rechte einer Körperschaft verleihen, „dann könnten wir zum Beispiel als ebenbürtige Partner mit Hamburg verhandeln“.
Genau das geht zurzeit noch nicht: Hamburg betreut seit den 70er Jahren die Belange der schleswig-holsteinischen Juden mit. Ein Vorrecht, das Wankum auf jeden Fall verteidigen möchte. Mit der Folge, dass von den 360.000 Euro, die das Land Schleswig-Holstein jährlich an die jüdische Gemeinde nach Hamburg überweist, „kein Cent bei uns ankommt“, wie Blender kritisiert. Dabei sei das Geld explizit dafür gedacht, das jüdische Leben in Schleswig-Holstein zu stützen. Stattdessen lege Wankum den nach Eigenständigkeit strebenden Gemeinden nur Steine in den Weg.
Tatsächlich hat der Hamburger Gemeindevorsitzende, der für die CDU in der Bürgerschaft sitzt, es gerichtlich untersagen lassen wollen, dass sich ein eigener schleswig-holsteinischer Landesverband konstituiert. Der Vorstand in Hamburg hatte beantragt, den Verband aus dem Vereinsregister zu löschen, war damit allerdings gescheitert.
Wankum betont immer wieder, Hamburg habe „kein schlechtes Verhältnis zu den Juden Schleswig-Holsteins“, immerhin kämen 2.200 der 5.500 Mitglieder des gemeinsamen Verbandes aus dem nördlichen Nachbarland. Zahlen, die Blender aber anzweifelt: Hamburg führe noch zahlreiche jüdische Mitglieder in der Kartei, die längst wieder nach Russland oder Israel gezogen seien. Wankum sagt auch stets, dass er gegenüber den unbotmäßigen Gemeinden – neben Bad Segeberg haben sich auch in Elmshorn, Pinneberg und Ahrensburg neue Gemeinden gegründet – „immer gesprächsbereit“ gewesen sei. Blender nennt dies, „öffentlich die Unwahrheit sagen“. Der 42-Jährige, im Beruf Kriminalkommissar, weist darauf hin, dass „wir uns jahrelang vergeblich um Gespräche mit Hamburg bemüht haben“.
Das Klima zwischen Hamburg und den Nachbarn ist also reichlich gestört. Blender wirft Wankum vor, es gehe ihm vorrangig darum, seine Machtposition zu festigen: „Er versucht ein Territorium zu behalten, das er längst verloren hat.“ Der Segeberger kann darauf verweisen, dass die Mitgliederzahlen der Gemeinde ständig steigen und diese aktiv und lebendig ist. Gerade wurde Makkabi, der erste jüdische Sportverein des Landes, gegründet, als nächstes hat sich die Gemeinde das Synagogenprojekt vorgenommen. „Wir sind die Zukunft, die Hamburger stehen für die Vergangenheit“, heißt es aus Segeberg.
Die schleswig-holsteinische Landesregeriung hält sich aus dem Streit bisher heraus und spricht von „innerjüdischen Angelgenheiten“, was Blender jedoch partout nicht findet: „Es ist nicht innerjüdisch, wenn Nichtjuden Geld für Juden ausgeben.“
Wankum setzt immer noch darauf, dass die Eigenständigkeitsbemühungen der Schleswig-Holsteiner eine Episode bleiben: „Es geht darum, dass nicht jeder machen kann, was er will.“ Doch Blender macht ihm da wenig Hoffnung: „Eine friedliche Kooperation wäre optimal, aber uns noch einmal unterordnen – das werden wir nicht mehr.“