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Archiv-Artikel

Zurück ins Versteck

In Hamburg lebende Tschetschenen protestieren in der Innenstadt gegen ihre drohende Abschiebung. Menschenrechtler warnen, den Flüchtlingen aus der Kaukasusrepublik drohe in Russland Verfolgung und Tod

Bevor Albert Gataev vor drei Jahren nach Hamburg kam, lebte er versteckt in den Wäldern und Bergen Tschetscheniens. „Dorthin bin ich geflohen, als ich für die Russen arbeiten und meine Landsleute verraten sollte“, berichtet der Tschetschene. Mit ihm haben gestern in der Innenstadt mehr als 60 Flüchtlinge aus der kriegszerstörten Kaukasusrepublik gegen ihre drohende Abschiebung protestiert.

Unterstützt werden sie von der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). Wie die Menschenrechtsorganisation warnt, sind Tschetschenen in Russland „nicht sicher“. Seit Jahren liefern sich Russen und Tschetschenen blutige Kämpfe um die abtrünnige Republik. Gleichwohl behandelt Hamburg wie Bayern und Niedersachsen tschetschenische Flüchtlinge „mit erschreckender Härte“, wie die GfbV kritisiert. Der Menschenrechtsorganisation zufolge steht bei mindestens 50 der 203 in Hamburg lebenden Flüchtlingen die Abschiebung unmittelbar bevor.

„Die Menschen werden mit der Begründung abgeschoben, es gäbe inländische Fluchtalternativen“, erklärt Sarah Reinke von der GfbV. Doch das Argument, Tschetschenen müssten nicht ins Kriegsgebiet zurückkehren und könnten im übrigen Russland leben, habe keinen Bestand.

„Auch außerhalb Tschetscheniens kommt es zu Verhaftungen und Übergriffen“, warnt Reinke. Der GfbV lägen fünf Fälle von in jüngster Zeit nach Moskau abgeschobenen Tschetschenen vor, die noch am Flughafen verhaftet wurden und seither verschwunden sind. „Wenn ich nach Russland zurückkomme, werde ich getötet“, sagt Wacha Tumajew, weil er aus russischer Gefangenschaft nach Deutschland geflohen sei. Er hofft jetzt auf das Oberverwaltungsgericht, vor dem er gegen seine angekündigte Abschiebung klagt.

„Ein Problem für uns Flüchtlinge sind auch die Prozesskosten“, berichtet Bella Musaeva. Dabei hat die Frau aus der tschetschenischen Hauptstadt Grosny noch Glück: Ein Hamburger Ehepaar unterstützt sie mit Geld und bei Behördengängen. Seit 2000 ringt sie mit den Behörden um ein sicheres Aufenthaltsrecht. „Meine Wohnung in Tschetschenien ist zerstört“, sagt Musaeva. Ihr Mann, der mit dem ermordeten Tschetschenenführer Selimchan Jandarbijew bekannt gewesen sei, gelte als verschollen, vier ihrer Geschwister hätten die Russen erschossen. Und ihre Tochter, die noch in Tschetschenien lebt, sei immer wieder von Soldaten misshandelt und nach den Eltern verhört worden. Das Argument der Behörde, sie könne doch außerhalb Tschetscheniens wohnen, nennt Musaeva „unmenschlich“.

Die GfbV appelliert jetzt an Hamburgs Innensenator Udo Nagel (parteilos), den tschetschenischen Flüchtlingen in der Stadt Zuflucht zu gewähren. Doch die Innenbehörde verweist die Verantwortung an andere. Schließlich gebe es für Tschetschenen keinen einheitlichen Abschiebestopp des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, betont Behördensprecher Norbert Smekal. Und wenn zudem „die Gerichte keinen Hinderungsgrund sehen, ist die Abschiebung rechtmäßig“. ANNIKA NOFFKE