: Glamouröses Genderspiel
Eigentlich spielen Ladytron immer nur ein Lied, das allerdings auf einen schönen Refrain hört: „Lasst uns Menschen sein“. Beim Berlinova-Festival darf man dann mitsingen
Im Dunkel stehen vier Silhouetten. Unser Warten auf Licht ist vergeblich. Und unnötig. Die Gestalten auf der Bühne brauchen kein Licht. Vor ihren Füßen bewegen sich die Füße. Gesteuert werden sie von zwei Stimmen, die Mira Aroyo und Helen Marine gehören. Den Elektrobeat geben Danny Hunt und Reuben Wu vor. Auf der Bühne des etwas zu poshen Clubs „Ocean“ im Osten Londons stehen Ladytron, eine der schillerndsten Formationen des Electroclash, und spielen Tracks von ihrem eben erschienenen Album „Light & Magic“. Die Körper der offiziell in Liverpool beheimateten Musiker sind wie bei allen Auftritten verhüllt von Uniformen. Ihre Gesichter androgyn weich gezeichnet.
Ladytron, die ihren Namen durch eine Single der britischen Experiment-Rock-Gruppe Roxy Music gefunden haben, sind beeinflusst durch Kraftwerk, Human League, Duran Duran und – was das glamouröse Geschlechterspiel angeht – von Boy George. Trotz gleichförmiger Uniformierung, als Maschinenmenschen à la Daft Punk wollen sie nicht gesehen werden. „Wir wollen als Menschen wahrgenommen werden“, erklärt Helen Marine, die aus Schottland kommt und früher als Model über die Bühne schritt. „Wie bei einer Schuluniform wollen wir, dass sich die Aufmerksamkeit auf jeden von uns, und nicht auf eine Person richten kann. Wir wollen eine richtige Band sein“. Ein Grundsatz, der auch auf den offiziellen Bildern der Band strikt erfüllt wird.
Auf der Rückseite des neuen Albums scheinen im blauen Licht vier Köpfe, deren Konturen sich nur schemenhaft erkennen lassen. Einziger Unterschied: Haben die Männer die Augen geschlossen, schauen die Pupillen der Frauen in die Welt. Ihr neues Album, für das sie vom Independent-Label „Emperor Norton“ zum Major Eastwest unter dem Dach von Warner Music wechselten, ist dancelastiger. Die Stimmung sphärischer. Deutlich zeichnet sich diese Entwicklung in der Gestaltung des Plattencovers ab. Schaute beim 2001 erschienenen Debütwerk „604“ noch ein melancholisches Manga-Mädchen nach nirgendwohin, verschwimmt beim Nachfolger ein blau-roter Lichtdom, der an ein entsprechend beleuchtetes Computerkabel erinnert, im Schwarz des Covers. Und so funktioniert auch die neue Musik von Ladytron: Auf der Tanzfläche, hinter geschlossenen Augen, tanzt der eigene Körper. Stört niemand dabei, kann das richtig gut klappen, und irgendwann ist klar, Ladytron spielen eigentlich nur ein Lied. Es heißt: Lasst uns Menschen sein. HENNING KOBER