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Archiv-Artikel

Goethe statt Schily

Wer mehr Sicherheit will, sollte Europa nicht zur Festung ausbauen. Wir müssen in den kulturellen Austausch investieren – hierzulande und in den islamischen Ländern

Der Islamismus ist eine Jugendreligion, die den Gefühls-haushalt von Millionen dereguliert

Der sich verschärfende Konflikt im Irak macht einmal mehr deutlich, wie begrenzt militärische Mittel im Kampf gegen den Terror und im Prozess des Nation-Building sind. Diese Mittel, egal wie technologisch verfeinert sie sein mögen, sind nicht nur begrenzt, sie sind kontraproduktiv. Es besteht Anlass zur Sorge, dass die verknöcherten Strukturen des Konflikts zwischen Israel und Palästina, die zur Stärkung extremistischer Positionen geführt haben, heute im Irak reproduziert werden, morgen sich auf den gesamten Nahen Osten und darüber hinaus ausweiten und einen Flächenbrand entfachen.

Die Entscheidung der Bundesregierung, sich am Irakkrieg nicht zu beteiligen, war richtig. Doch erfordert die gegenwärtige Situation ein aktiveres Handeln, das nicht nur auf den Augenblick gerichtet ist. Die sture Haltung der alliierten Kräfte im Irak gibt wenig Anlass zur Hoffnung, dass sich vor den Wahlen in den USA am Konfrontationskurs etwas Grundlegendes ändern wird. Die Schäden, die dadurch angerichtet werden, vor allem die Radikalisierung breiter Massen in der arabischen Welt, werden zu noch mehr Terror, Hass und Leiden führen. Wir befinden uns längst in einem Teufelskreis, der auch mit diplomatischen Mitteln nur schwer zu durchbrechen ist. Wo der Waffengang den Weg zum Gespräch verbaut hat, gilt es, neue Wege und Situationen für das Gespräch auszuloten.

Auch wenn die Bundesregierung in mancher Rede die Bedeutung kultureller Begegnungen in der Konfliktsituation betont, sieht sie nicht wirklich das kreative Potenzial, das in einer durchdachten, gut koordinierten auswärtigen Kulturpolitik steckt. Deutschland ist für solch eine aktivere Kulturpolitik besser vorbereitet als manch anderes Land. Gerade in der islamischen Welt begegnen die Menschen uns mit Vertrauen. Daraus erwächst sowohl Verpflichtung als auch Herausforderung. Kulturpolitik im Ausland macht nicht nur unsere Politik sichtbarer, sie bringt auch Ideen, Gedanken und Imaginationen zu den Menschen und nimmt deren Ideen, Gedanken und Träume auf. Kulturpolitik im Ausland ist erfolgreich, wenn sie kommuniziert. In den letzten Jahrzehnten ist nicht nur Europa zusammengewachsen. Durch die Migration nach Europa sind auch der Mittelmeerraum und der Nahe Osten stärker denn je mit unserem Kontinent verflochten.

Wenn die Kassen leer sind, ist Kultur so ziemlich der letzte Bereich, in den investiert wird. Und genau an diesem Punkt müssen wir umdenken. Nach dem 11. September ist viel Geld in die Sicherheit geflossen und – das ist schon löblich – ein wenig auch in den Bereich der Kultur, beispielsweise um den Dialog mit der islamischen Welt zu beleben. Wie aber kann dieser Dialog in unseren Tagen gelingen? Wie können wir ihn anregender, effektiver gestalten?

Wer mehr Sicherheit will, muss das Gespräch suchen und pflegen. Immer mehr Ausgaben für die Sicherheit aber wiegen uns lediglich in der Illusion, wir wären sicher. Wir leben nicht mehr in jener Zeit, in der die am stärkste ausgebaute Festung die beste Sicherheit garantierte (falls es eine solche Zeit überhaupt jemals gab). Festungen gibt es nur noch in unseren Köpfen. Doch sind wir für die Zeit, in der wir leben, geistig gerüstet? Die Menschen sind zutiefst verunsichert und überfordert. Das ist kein geringeres Sicherheitsrisiko als eine Lücke an unseren Grenzen. Nichts macht den Menschen gefährlicher als das Gefühl der Unsicherheit.

Den Kampf gegen den Terror dürfen wir nicht nur Armeen und Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte überlassen, wenn wir unsere Demokratie, unsere Freiheiten und unsere Sicherheit bewahren wollen. Gefordert sind alle Bürger, nicht als Spitzel, sondern als geistige Wesen, die das kreative Potenzial des Denkens und des Gedankenaustauschs wieder entdecken und in der Begegnung mit anderen auch einsetzen. Weder Renaissance noch Aufklärung wären ohne Befruchtung von außen denkbar gewesen. Ich frage mich, wo und in welchem Ausmaß dies in unseren Lern- und Denkanstalten noch geschieht.

Warum bauen wir eine über Landesgrenzen hinaus anerkannte und geschätzte Institution wie das Haus der Kulturen der Welt in Berlin nicht weiter aus, zu einem Labor des kreativen Austauschs? Es bietet sich geradezu an als Ort der Analyse und der Inspiration, wo sich das weltweite Netz kultureller Verflechtungen im Herzen von Berlin widerspiegeln kann. Ohne dieses Haus wären Denker der islamischen Welt in Deutschland noch unbekannter, als sie es heute schon sind. Durch eine stärkere Vernetzung der Arbeit der weltweit agierenden Goethe-Institute mit einer Institution wie dem Haus der Kulturen der Welt und den verschiedenen Arbeitsstäben im Auswärtigen Amt könnten dringend benötigte Synergieeffekte erzielt werden.

Vor allem mit der in Deutschland lebenden türkischen Bevölkerung ist hierzulande auch eine organische Verbindung zur muslimischen Kultur entstanden. Glücklicherweise zu einem Land, in dem gegenwärtig ein hoffnungsvolles Experiment der Modernisierung vor sich geht. Doch sehen wir wirklich die Chancen, die sich aus dieser Entwicklung für uns ergeben? Deutsch-türkische Kulturbeziehungen sind nach wie vor unterentwickelt, Goethe-Institute in der Türkei kläglich ausgestattet, geistige Debatten aus der Türkei erreichen uns nur in Ausnahmefällen, und „der Türke“ wird in den hiesigen Medien allzu oft als nicht integrierbar und fremd gezeichnet. Nicht zuletzt erfordert sowohl die Globalisierung als auch der europäische Einigungsprozess ein Überdenken nationaler Kulturpolitik. Positiv zu beobachten ist beispielsweise eine stärkere Kooperation der Kulturinstitutionen europäischer Länder untereinander. Doch wir stehen da lediglich am Anfang.

Auch die deutsch-türkischen Kulturbeziehungen sind nach wievor unterentwickelt

Der Islamismus ist inzwischen eine Jugendreligion geworden. Seine Sprache und seine Denkmuster werden von uns zwar verdammt, bleiben aber weitgehend unanalysiert. Die emotionale Ebene hinter der Sprache bleibt unberührt und produziert Gefühle und Bilder, die vom rationalen Denken nicht mehr erreicht werden. So werden aus Selbstmordattentätern Popstars. Das sind nicht nur Verführte und Verblendete, die unsere Sicherheit gefährden, sondern vermeintliche Idole, die den Gefühlshaushalt von Millionen deregulieren. Was setzen wir dem entgegen? Leider nur die tausendste Talksendung. Damit kommen wir nicht weiter.

Wenn wir den Stahlhelm nicht aufsetzen wollen, brauchen wir eine glaubwürdige Gegenstrategie. In der kulturellen Begegnung wird mit dem Anderen gesprochen. „We are you“ lautet das Motto einer neuen Zeitschrift, die im New Yorker Stadteil Brooklyn erscheint, als Forum für Kunst aus dem Nahen Osten. Wenn es uns gelingt, im Spiegel den Anderen zu entdecken, sind wir einen Schritt weiter.

Eine Gesellschaft, die darüber diskutieren muss, ob Kulturausgaben Investition oder Subvention sind, ist freilich weit davon entfernt, jene Atemreserven freizusetzen, die der Erschöpfung ihrer Zivilisation entgegenwirken. ZAFER ȘENOCAK