: Überdosis USA
Am Anfang war nur „Dallas“, dann schwelten die „Fackeln im Sturm“, jetzt läuft auch noch „Twin Peaks“ und „Inside USA“: Kabel 1 dient am Wochenende zur Amerikanisierung des Unbewussten
von DÖRTE FRANKE
„Dallas“, „Fackeln im Sturm“, seit gestern „Twin Peaks“ – und jetzt auch noch „Inside USA“: Ein Sender setzt ethnologische Schwerpunkte, die man beinahe als einen Beitrag zur Völkerverständigung missverstehen könnte. Nun kann man diesem Sender ja so einiges vorwerfen, aber die Sache mit dem Artenschutz hat Kabel 1 bisher schon ernst genommen. Ob Latzbehoste, bibelfeste Bewohner der „Kleinen Farm“, prähistorische „Star-Trek“-Folgen oder „Die Zwei“ mit ihren wunderbar asynchronen Lippenbewegungen – „Die Originale“ eben. Und kein „Sendeauftrag“ weit und breit in Sicht, das war der Deal.
Aber damit ist jetzt Schluss. Denn Kabel 1 will sich offenbar nicht mehr damit begnügen, ein Biotop für ausgestorbene Serienklassiker zu sein. Man hat höhere Ziele. Zunächst fing alles ganz harmlos an. Als im Herbst letzten Jahres die alten „Dallas“-Folgen nach langer Abstinenz wieder auf Sendung gingen, konnte ja niemand ahnen, wohin das noch führen sollte. Ab Mai dann die Ausstrahlung der gesamten „Fackeln im Sturm“-Reihe, auch das allein kein Grund zur Beunruhigung, obwohl niemand den hinkenden Patrick Swayze mit ondulierter Matte wirklich vermisst hatte.
Vielleicht hätten wir aber schon da zumindest bemerken müssen, dass nun der gesamte Kabel-1-Montagabend von amerikanischen Großfamilien mit einem Hang zu dominant-ähnlichen Verhaltensweisen geprägt wird. Aber dann kam der clevere Schachzug mit der Wiederholung der gesamten „Twin-Peaks“-Staffel, den sogar überzeugte Serienhasser begrüßen mussten.
Richtig verdächtig wurde das Ganze deshalb erst mit dem Beginn der „Inside USA“-Reihe. Jetzt wissen wir Bescheid. Denn was uns nun zwischen Freitag- und Montagabend auf diesem Sender erwartet, würde Arte wenigstens ganz offen als einen expandierten Themenabend ankündigen. Auf Kabel 1 jedoch spannt man klammheimlich den ganz großen Bogen: Mit einer Art Ethnologie-Nachhilfe-Wochenende in Sachen Americana, das bis dato ganz unschuldigen Serien hinterrücks Zusammenhänge unterschiebt.
In Zukunft wird das ungefähr so ablaufen: Freitags, 23.20 Uhr – Der aufrechte, buddhistisch veranlagte Agent Dale B. Cooper soll in „Twin Peaks“ den Mord an einer Highschülerin aufklären. Schon bald erfahren wir, dass die offenbar mit der halben Kleinstadt im Bett war, und lernen ihre psychotische, drogenabhängige Mutter kennen. Damit wir uns bloß nicht in David Lynchs postmodernem Suburbia verirren, folgt dann am Samstag, 18.50 Uhr der zweite Beitrag der Reihe „Inside USA – die faszinierenden Doku-Reihe aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten“. In neun Reportagen will man uns laut Kabel-1-Werbung „interessante Menschen und Geschichten, die nicht jeder kennt“, näher bringen.
Schon hier wird ein Kontext gebastelt, den eigentlich keiner haben wollte, aber damit nicht genug. Auf der Kabel-Homepage erwartet uns nämlich noch der „Ami-Knigge“ (www.kabel1.de/info/inside): Unter dem fadenscheinigen Vorwand, ahnungslose Zuschauer für eventuelle Reisen in dieses Land zu wappnen, hat man dort eine Reihe ziemlich gruseliger Informationen zusammengestellt: Frauen ohne glatt rasierte Beine oder Achseln müssen mit ernsten Problemen rechnen. Tägliches Haare waschen und fönen wird empfohlen. Und wer in Washington D.C. oder Florida die Missionarsstellung verlässt, bewegt sich auch schon am Rande der Illegalität.
Diese systematische Infiltration seit Freitagabend hat Spuren hinterlassen, und der Montagabend bekommt nun eine ganz neue Dimension: 20.15 Uhr – Patrick Swayze in Südstaaten-Uniform erinnert uns mit seinen penetranten Moralvorstellungen plötzlich an den geplagten Agenten Dale B. Cooper. Ganz klar, dass seine quiekende Schwester Ashley Ende des 20. Jahrhunderts als promiskuitiver Cheerleader vom Kaliber einer Laura Palmer wiedergeboren worden wäre. Madeline LaMottes Morphiumrausch können wir nun leicht als ganz typisch für Frauen in amerikanischen Kleinstädten einordnen – und Bösewichter mit Sex-Appeal und Kohle gibt es hier gleich mehrere.
Wir kennen sie ja jetzt, die „Amis“, können nicht mehr unbeschwert wegdösen, weil jede Sendeminute uns neue Zusammenhänge offenbart. Und so können wir wenig später (22.15 Uhr) auf der Southfork-Ranch Bobby Ewing sofort als Reinkarnation von Orry Main bzw. Vorläufer von Cooper identifizieren. Bei den nymphomanen Dallas-Girls liegt der Fall etwas komplizierter – aber Sue Ellen mit Bourbonflasche lässt keine Zweifel offen. Dass J. R. in eine Reihe mit all den anderen Städte und Staaten kontrollierenden Tycoons mit Testosteron-Überschuss gehört, überrascht dann niemanden mehr.
Nur: Der Unterhaltungswert wurde auf Dauer beschädigt, so viel ist klar. Und wenn Kabel 1 mit diesem Americana-Aufgebot einen konstruktiven Beitrag zum momentan bekanntlich etwas komplizierten transatlantischen Verhältnis leisten wollte – dann ist das ja wohl gründlich in die Hose gegangen.
Bisher sind wir schließlich einfach dabei eingeschlafen und hätten uns nie Gedanken über eine eventuelle Amerikanisierung unseres Unbewussten gemacht. Wir wären doch nie auf den Gedanken gekommen, dass es in Amerika nur glatt rasierte Frauen gibt, die in jungen Jahren ganze Landkreise flachlegen, um dann ab Mitte dreißig mit Drogenproblemen in den Ruhestand zu gehen. Keinem von uns wäre aufgefallen, dass amerikanische Männer mit viel Geld und Einfluss so unbehelligt wie illegal Öl verscherbeln oder ein Bordell führen dürfen, solange sie dabei ausdauernd die Mundwinkel auseinander ziehen.
Jetzt können wir nicht mehr zurück. Und „Die Originale“ auch nicht, weil sie ihre Unschuld verloren haben. Wahrscheinlich können wir nicht einmal mehr „Alf“ gucken, ohne Familie Tanner in Zusammenhang mit all dem zu bringen. Könnte doch sein, dass uns auch diese Serie mehr über den Umgang Amerikas mit fremden Kulturen erzählt, als wir bisher dachten …