: Parteisoldat mit heldenhafter Zivilcourage
Jiang Yanyong zwang Peking zum offeneren Umgang mit Sars und wurde so selbst zum Indikator für die Offenheit
Wer etwas über das komplizierte Verhältnis der chinesischen Behörden zur Wahrheit wissen will, sollte sich die Geschichte des mutigen Militärarztes Jiang Yanyong ansehen, der zu den wahren Helden des Kampfes gegen Sars in Peking gehört. Er war es, der Anfang April einen offenen Brief an chinesische und ausländische Medien geschickt hatte, in dem er Pekings Politikern vorwarf, das Ausmaß der gefährlichen neuen Lungenkrankheit zu vertuschen.
Als sein Alarmruf im Ausland für Furore sorgte, mussten Pekings Bürgermeister und der Gesundheitsminister zurücktreten. Die Regierung machte den Kampf gegen das „schwere akute Atemwegssyndrom“ (Sars) plötzlich zur Chefsache. Seither wird der 72-jährige Arzt abgeschottet. Nachdem ausländische Journalisten bei offiziellen Pressekonferenzen immer wieder nachfragten, wie es ihm gehe, veröffentlichte die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua im Mai plötzlich einen Artikel, in dem er mit den Worten zitiert wurde: „Die Maßnahmen zur Vorbeugung und Eindämmung, die von der Regierung eingeleitet wurden, haben offenkundig deutliche Fortschritte beim Kampf gegen die Epidemie gebracht. Jetzt bin ich erleichtert.“
Weiter ging die Offenheit der Behörden in Jiangs Fall zunächst nicht. Interviews durfte er nicht geben – obwohl es offiziell hieß: „Der Doktor unterliegt keinem Druck und keinen Beschränkungen.“ Doch mutige chinesische Journalisten ließen sich nicht beirren: Sie befragten seine Familie, Kollegen und Nachbarn. Sie ernannten ihn zum Helden. Eine Zeitschrift setzte sein Foto gar groß auf die Titelseite.
Für Jiang, der vor über fünfzig Jahren in die Kommunistische Partei eintrat und 1953 Arzt in Pekings Militärkrankenhaus Nr. 301 wurde, war dies nur die jüngste Wendung in seinem von den politischen Wirren des Landes gezeichneten Leben. Sein Parteibuch hatte ihn – wie Millionen andere – in der Kulturrevolution (1966–76) nicht vor der Verfolgung durch revolutionäre Eiferer geschützt: Seine Herkunft als Sohn eines Bankiers wurde ihm zum Verhängnis. Er musste die Schandkappe des „Konterrevolutionärs“ tragen und wurde für zwei Jahre ins Gefängnis geworfen, bevor er zur Landarbeit in die ferne Provinz Qinghai verbannt wurde.
1972 durfte er in sein altes Hospital zurückkehren. Pekings Militärkliniken zählen zu den bestgeführten Hospitälern des Landes, wo sich hohe Offiziere und Kader behandeln lassen. Jiang stieg zum Chef der Chirurgie auf und genoss großen Respekt, denn er galt als unbestechlich – zu einer Zeit, in der die meisten Ärzte Chinas ihre mageren Gehälter dadurch aufbesserten, dass sie allerlei zusätzliche Gebühren für ihre Arbeit einforderten. Anfang der 90er-Jahre wurde er über die Grenzen Pekings hinaus berühmt, als Chinas Zeitungen ihn als Beispiel eines „ehrlichen Arztes“ priesen.
Nachdem ein hoher Politiker sich vor der Presse erst kürzlich beharrlich weigerte, die Zivilcourage Jiangs zu loben, will die KP-Führung der Welt nun offenbar eine neue Offenheit vorspiegeln: So publizierte das KP-Organ Volkszeitung gestern erstmals Jiangs Brief vom 4. April, mit dem er den Stein ins Rollen gebracht hatte. Doch die ganze Wahrheit gibt es noch immer nicht: Textpassagen, in denen Jiang dem damaligen Minister vorwarf, wie in den schwarzen Zeiten der Kulturrevolution zu handeln, fehlen. JUTTA LIETSCH
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