Reich und deprimiert

Den sexuellen Frust teilt sie mit Tisserand aus „Ausweitung der Kampfzone“: Brigitte, Protagonistin von Michel Houellebecqs Monolog „Tragbar“, hat der berufliche Erfolg nicht glücklich gemacht. Gastspiel des Schauspiel Zürich bei den Autorentheatertagen am Thalia in der Gaußstraße

von KATRIN JÄGER

Brigitte (Yvon Jansen) hockt zusammengekauert auf einer lehnenlosen Bank. Nervös tippt ihr rechter Fuß auf den Boden, als würde er gar nicht zu ihr gehören, die Finger knibbeln am dunkelbrauen Morgenrock, kneifen in Brust und Arme, als würde Brigitte sich nur noch durch diesen Schmerz spüren können. Verzerrte Miene, leerer Blick in den verwahrlosten Raum. Auf dem Boden liegen leere Gauloise-Schachteln, Kippen quellen aus dem Aschenbecher, Unterwäsche, ein magenta Damenkostüm, Seidentücher sind achtlos hingeworfen. Brigittes Standardsatz im Monolog Tragbar nach Michel Houellebecq, als Gastspiel des Schauspiel Zürich am Thalia aufgeführt, klingt gehetzt, gequält, entschuldigend: „Ich muss seufzen“, was sie ab und zu auch tut. Immer dann, wenn der angespannte Körper ihr ein wenig Loslassen erlaubt. Dann der Monolog: Sie kriegt keinen Mann ab, weil hässlich, weil zu „gedrungen. Ich stelle nicht den Typ eines Mädchens dar, den auch nur ein Mann begehrt. Schlabbriger Hintern, Hängebrüste“. Minderwertigkeitsgefühle einer dreißigjährigen Karrierefrau.

Ökonomisch geht es der Informatikerin ausgezeichnet. In ihrer Softwarefirma verdient sie das „Zweieinhalbfache des Normaltarifes, die Aufstiegschancen sind gut. Ich lebe ganz und gar entsprechend den Regeln“, so der selbstironische Kommentar, denn die Frau weiß: Das ist falsch, das macht sie unglücklich. „Ich ahne, dass mein Leben auf die unweigerliche Katastrophe hinläuft.“

Yvon Jansen schafft es, stets in ironischer Distanz zur frustrierten Brigitte zu bleiben, obwohl sie mit ihr verschmilzt. Diese Brigitte ist gefühlsmäßig in der Pubertät stecken geblieben. Deshalb besucht sie mit ihrer Freundin Veronique die Teenie-Disko, wo sie sich vorkommt „wie die ältere Schwester“ der siebzehnjährigen, Jil-Sander-umwölkten Tanzgockel. Deshalb tötet sie fast einen „Mischling“, den sie gern gehabt hätte, der dann aber mit einer Gleichaltrigen in den Dünen verschwindet. Doch dann lässt sie das Schlachtermesser stecken. Lapidare Begründung: „Ich habe keine Lust zu töten.“ Fährt nach Hause und hört zu Beruhigung Abendlieder, gesungen von einem Kinderchor. Auf Schallplatte, abgespielt von einem tragbaren Plattenspieler aus den Siebzigern.

Schauspielerin Jansen und Regisseur Johan Simons verdichten das Problem der Generation nach 1968, mit dem Fingergeknibbel, mit den Kinderliedern aus der Konserve, aber auch in diesem Satz: „Wie der wirtschaftliche Liberalismus erzeugt der sexuelle Liberalismus Einsamkeit und emotionale Verarmung.“ Was ist daran „tragbar“, außer dem Plattenspieler? Die vielen Brigittes dieser Welt, sie werden berieselt mit Schönheitsidealen, malträtiert mit Brigitte-Diäten, an der Bushaltestelle heimgesucht von anorektischen Models aus der Unterwäschewerbung. Den Männern geht es mittlerweile genauso: Der neue Mann muss der Werbung gemäß wieder so richtig männlich sein, ein Alleskönner im Bereich der Technik und Altersvorsorge – einer, der durch den Verzehr einer bestimmten Joghurt-Marke immer frisch, fidel und munter ist, eben ein richtiger Kerl dank... Spätestens seit den Langnese Kinospots ist klar, dass das Leben aus Sex und Eiskrem besteht. Brigitte erliegt diesen Zwängen der Spaßgesellschaft, ebenso wie der vereinsamte Tisserand aus Michel Houellebecqs Ausweitung der Kampfzone.

Der Roman des französischen Provo-Autors diente Jansen und Simons als Vorlage. Brigitte und Tisserand erleiden das Schicksal der Gefühlsverarmung und sozialer Isolation trotz oder gerade wegen ihres beruflichen Erfolgs. Die dramatische Umsetzung zeigt, dass diese Probleme geschlechtsunabhängig sind. Zwar hätte Tisserand, anders als Brigitte, die Möglichkeit gehabt, eine Prostituierte aufzusuchen. Das tut er aber nicht, er will gratis und gefühlsechten Geschlechtsverkehr – wie Brigitte. Beeindruckt hat Schauspielerin Yvon Jansen nicht nur bei der Zürcher Uraufführung von Tragbar, sondern auch bei den Autorentheatertagen am hiesigen Thalia Theater.