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Archiv-Artikel

Die Quadratur des Kreises

SPD und CDU rufen bei ihren Koalitionsverhandlungen „das Ende der ideologischen Grabenkämpfe der Vergangenheit“ aus. Der Kompromiss bringt Bremen ein flexibles Multioptions-Schulsystem, das sich dem Elternwillen anpassen soll

Es soll bis zu drei weitere Integrierte Stadtteilschulen geben

taz ■ Den Herren war feierlich zumute. SPD-Chef Detlev Albers schaute sehr bedeutungsschwanger drein, und sein CDU-Kollege Bernd Neumann erschien sogar mit Einstecktuch zur Pressekonferenz am Samstag, um den bildungspolitischen Kompromiss zu lobpreisen, zu dem sich der Koalitionsausschuss in der Nacht zuvor zusammengerauft hatte. Beide Landesvorsitzenden geizten nicht mit großen Worten. „Damit haben wir die bisher größte Meisterleistung bei diesen Koalitionsverhandlungen erreicht“, sagte Neumann. Und auch Albers war natürlich „außerordentlich zufrieden“. Das bremische Schulwesen wird nämlich künftig ein Stück „integrativer“ (Albers), aber auch „differenzierter“ (Neumann). Die Quadratur des Kreises scheint gelungen zu sein. „Mit dem neuen Schulsystem ziehen wir einen Schlussstrich unter die ideologisch-bildungspolitischen Grabenkämpfe der Vergangenheit“, sagte Neumann.

Die Fakten: In der Regel bleiben Kinder vier Jahre lang an der Grundschule, danach können die Eltern zwischen vier Möglichkeiten wählen: Da ist die Integrierte Stadtteilschule (Gesamtschule), die verbundene Haupt- und Realschule, der gymnasiale Bildungsgang an einem Schulzentrum und schließlich das durchgängige Gymnasium – mit dem Abitur in Klasse 12. Gymnasialabteilungen an Schulzentren, die mangels Nachfrage nur einzügig sind, sollen „schrittweise abgebaut“ werden. In der Haupt- und Realschule werden die Kinder in den Klassen 5 und 6 gemeinsam unterrichtet, in Stufe 7 und 8 gibt es eine differenzierte „Beschulung“, und in den Klassen 9 und 10 werden die SchülerInnen in getrennten Abschlussklassen unterrichtet. Ob ein Kind etwa an einem Gymnasium bleiben darf, wird endgültig erst nach Klasse 6 entschieden: Aktzeptieren Eltern die Schulempfehlung nicht, muss der Schüler eine Aufnahmeprüfung absolvieren.

Nach Tische lesen sich diese Ergebnisse selbstredend anders, als die großen Parteien es im Wahlkampf versprochen hatten. Die SPD hatte für die sechsjährige Grundschule getrommelt, die CDU dagegen hatte sich ein strikt dreigliedriges Schulsystem nach Klasse vier (ohne Gesamtschulen) auf die Fahnen geschrieben. SPD-Chef Albers feiert dennoch den „Einstieg in die sechsjährige Grundschule“: Zwei bestehende Modell-Grundschulen (Alter Postweg und Grambke) bleiben erhalten, und „bei deutlicher Nachfrage der Eltern“ können „bis zu vier weitere Schulen als sechsjährige Grundschulen eingerichtet“ werden.

Einen ähnlichen Kompromiss gab es bei den Integrierten Stadtteilschulen: „Um der aktuellen Nachfrage Rechnung zu tragen, werden bis zu drei weitere Integrierte Stadtteilschulen eingerichtet“, heißt es in dem Papier. Zudem sollen diese Schulen „mit gymnasialen Oberstufen verbunden oder klar zugeordnet“ werden. Das Abitur dort soll in der Regel, anders als bei den durchgängigen Gymnasien, erst nach 13 Schuljahren geschrieben werden. Generell soll der Grundsatz gelten: Steigt die Elternnachfrage nach einer der Schularten „deutlich weiter an, können in Absprache zwischen den Koalitionspartnern darüber hinaus entsprechende weitere Standorte eingerichtet werden“.

Mehr Gesamtschulen – für Bernd Neumann ist das offenbar plötzlich kein Problem mehr: „Unterstellt, wir würden zusammen mit der FDP eine Mehrheit bekommen, würde ich bei diesem Modell bleiben – weil ich es einfach für fair halte“, sagte der CDU-Chef. Eigentlich sei er ja gedanklich sogar schon „auf dem Wege zu einem Kompromiss“ gewesen, nach dem die große Koalition „im Prinzip die sechsjährige Grundschule“ eingeführt und nur „erkennbar Begabten“ die Möglichkeit eröffnet hätte, auf ein durchgehendes Gymnasium ab Klasse 5 zu gehen. Doch dann, plauderte Neumann aus dem Nähkästchen, sei aus dem Bildungsressort selbst die Notbremse gezogen worden. „Selbst wenn wir das gewollt hätten, wäre es überhaupt nicht zu realisieren gewesen.“ Da bei Einführung der Orientierungsstufe die Klassen 5 und 6 „von den Grundschulen losgelöst und in die Sek-I-Zentren gebracht“ worden seien, würde eine erneute Restrukturierung „einen riesigen organisatorischen Aufwand bedeuten und Millionen kosten“, zitierte Neumann die Lemke-Fachleute.

Das Schulwesen wird „ein Stück integrativer“, aber auch „differenzierter“

Geeinigt haben sich die Parteien auch darauf, dass die Einhaltung von Bildungsstandards künftig durch „Abschluss- und Übergangsarbeiten am Ende der Sekundarstufe I“ überprüft werden soll. Die Arbeiten finden ab Ende des Schuljahres 2005/06 verbindlich für alle Schulen statt und sollen zentral gestellte Aufgabenteile und schulbezogene Ergänzungen beinhalten.

„Bildung hat in Bremen absolute Priorität“, lautet der erste Satz im Kompromisspapier. Das heißt jedoch nicht, dass Willi Lemkes Ressort von der Einsparquote von fünf Prozent ausgenommen ist. Dieser Tage muss der Senator Kürzungsvorschläge auf den Tisch legen. Dann erst wird sich auch herausstellen, ob überhaupt Geld da ist für vollmundige Wahlkampfversprechungen wie ein gebührenfreies drittes Kindergartenjahr (CDU) oder eine Zweitkraft pro Kindergartengruppe (SPD). Markus Jox