Eine Wundertüte voller Tanz

Die Berliner Tanztage 2009 in den Sophiensaelen starteten am Wochenende mit Produktionen, die sich mit dem Kino, Zirkus, Bondage und dem Gedächtnis der Popkultur beschäftigten. Tanz als faszinierende Rezeptionsforschung

Das Kino und der Zirkus erschienen am ersten Abend der Berliner Tanztage als zwei der Referenzpunkte, zwischen denen sich Tanz bewegen kann. Malerei, Bondage und das kollektive Gedächtnis der Popkultur kamen am zweiten Abend dazu. Das Prinzip Wundertüte funktioniert also nach wie vor gut bei diesem kleinen Berliner Festival, das traditionsgemäß beim ersten ungemütlichen Januarwetter die unterschiedlichen Säle in den Sophiensaelen füllt.

Dem Showdown im Kino und dem Fortleben der Bilder in der gemeinsamen Erinnerung war das erste Stück gewidmet, „memor I am“. Unterschiedlich ist der Hintergrund der drei Performer, die hierfür erstmals zusammenarbeiten: Lea Martini und Anja Müller haben Choreografie und Tanz in Amsterdam studiert, Dennis Deter in Berlin Literatur und Philosophie. Der 24 Sekunden lange, legendäre Kugelhagel, der am Ende des Films „Bonnie and Clyde“ die Körper der Protagonisten zerfetzt, ist ihr Material. Über ein halbe Stunde lang spielen sie das Zucken der Körper nach, die von den Kugeln hin und her geschleudert und in groteske Bewegung versetzt werden. Und doch ist das nicht einfach nur monoton und zynisch in seiner Grausamkeit. Denn ihre Performance liefert den einmal in die Welt gesetzten Bildern ein körperliches Echo, als ob sie die Szene einmal nachspielen würden für jeden, der jemals den Film gesehen hat, und so eine Summe aus all dieser gespeicherten Gewalt ziehen. Tanz als Rezeptionsforschung gewissermaßen.

Diesem bewusst an den Nerven sägenden Stück folgte eine clowneske, dem Geist des französischen Noveau Cirque entsprungene Produktion für vier Performer, die Artistik, Tanz, Jonglage und auch wieder Philosophie studiert haben. Computerspiele und der ruckelnde Bewegungsrhythmus animierter Figuren gaben den tänzerischen Anordnungen von „Aiuaio 1.2“ die Muster vor. Doch kaum dass man die Spielregeln und die Einübung in Konkurrenzen erkannt hat, folgt schon die Störung, die Verzerrung ins Schräge, die Parodie auf Rangordnung und Hierarchien. Sodass das Spiel der 2007 gegründeten Gruppe, die sich nach ihren Teilnehmern Galindez Cruz/Sing/Wegner/Vogel/Bensch nennt, neben allem Bewegungswitz auch immer an der Hinterfragung der Bilder von Gewinnern und Verlierern arbeitete.

Der Körper ist eine konkrete Größe, die Zahl eine abstrakte. Den Berliner Tanztagen 2009, die bis zum 12. Januar in den Sophiensaelen neun weitere Produktionen zeigen, hat der Kurator Peter Pleyer einige Zahlenspiele verschrieben: Er verschickte an alle Mitwirkenden Fragebögen, über ihre Probenzeit, Größe des Etats, Inspirationsquellen, Materialien. Sodass man im Programmheft nun nachlesen kann, dass „memor I am“ mit einem Budget von 2.800 Euro schon zu den besser unterstützten Produktionen gehört. Die fünf Künstler, die in der Reihe „Junge Choreographen“ auftreten, hatten in der Regel gar kein Budget.

Es begann skurril, mit Dasniya Sommer, die ihren schlanken, nackten Körper mit immer mehr Seilen verknotet, ornamentiert und parzelliert, stehend zuerst, bald hängend und schaukelnd, den Kopf nach unten, das Gesäß nach oben. Mit angehaltenem Atem sah man dieser exhibitionistischen Praxis zu, teils die Entgleisung ins Peinliche fürchtend, aber staunend über den Eifer an der Zurichtung des eigenen Körpers als Objekt und Fetisch.

Wie sich Stimme und Körper, lautmalerischer Klang und Bewegung, schließlich Sprache und Tanz verbinden können, zeigte Jule Flierl in einem 15-minütigen Stück. In Verbindung mit der Sprache verändern sich die Eigenschaften des Tanzes, und dort, wo er sich sonst so schnell der Wiedererkennbarkeit entzieht, erhält er plötzlich ein Raster der Identifikation. Das scheint ein interessanter Ansatz, die Wahrnehmung von Tanz zu verändern. Und mehr kann man eigentlich nicht verlangen von einem Programm, das die Bühne für erste eigene Konzepte öffnet.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Programm unter www.tanztage.de. Bis 12. Januar in den Sophiensaelen