Semlers kleine Wortkunde : Heroische Haltung
Der Kanzler ist ein Held, weil er an der Agenda 2010 festhält, sagt der Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer. Ist das wahr?
50 Jahre nach dem Auftritt der Helden von Bern verfügt jetzt auch die deutsche Hauptstadt über einen Heros. Es ist niemand anderes als Bundeskanzler Schröder. Ihm wurde soeben vom Kovorsitzenden der Grünen, Reinhard Bütikofer eine „heroische Haltung“ bescheinigt. Der Grund: Der Kanzler halte an der Agenda 2010 fest, selbst wenn ihn dies das Amt kosten sollte.
„Heroische Haltungen“ finden sich durchaus im zivilen Leben, so weit hat Bütikofer Recht, wobei es freilich gilt, zwischen „Haltung“ und „Verhalten“ zu unterscheiden. Als heroisch gilt uns ein Verhalten, das ohne Rücksicht auf Erfolgs- und Anerkennungskalküle und allein auf sich gestellt, entschlossen dem Allgemeinwohl nützliche Taten zu vollbringen sucht. Es gibt sie tatsächlich, zivile Helden, aber der Bundeskanzler zählt gewiss nicht zu ihnen.
Wie heroisch, muss man sich fragen, ist eine Haltung, die sich nicht nur der Unterstützung eines Großteils der marktbeherrschenden Medien erfreut, sondern sich auch der Anerkennung der Unternehmerverbände sicher sein kann? Und welches Risiko geht ein Politiker ein, wenn er von den Wählern nach acht Jahren Kanzlerschaft in den ebenso ehrenhaften wie wohldotierten Ruhestand geschickt wird? Würde es nicht umgekehrt eher von einer heroischen Haltung zeugen, wenn der Kanzler öffentlich seinen Irrweg eingestehen und konsequent auf Gegenkurs gehen würde?
Im Übrigen gilt es zu bedenken, dass es sich am besten dort leben lässt, wo heroische Haltungen und Taten überflüssig sind. Dies war zumindest die Meinung von Brechts Galileo, der, nachdem er im Angesicht der Folter seinen astronomischen Theorien abgeschworen hatte, dem Ausruf seines Schülers, „Unglücklich das Land, das keine Helden hat“, entgegnete: „Glücklich das Land, das keine Helden nötig hat“. CHRISTIAN SEMLER