: „Ich hätte ‚Feuer‘ geschrien“
Interview ERIC CHAUVISTRÉ und KATHARINA KOUFEN
taz: Frau Wieczorek-Zeul, Sie haben sich früh für eine Intervention im Kongo ausgesprochen. Was kann denn diese Intervention bringen?
Heidemarie Wieczorek-Zeul: Dieser Einsatz ist erstens eine Frage unserer Glaubwürdigkeit. Die afrikanischen Staaten haben in der Vergangenheit und mit einem gewissen Recht gesagt: Die internationale Staatengemeinschaft interessiert sich nur dann für Konflikte, wenn es um Öl geht, Stichwort Irak. Oder: Euch interessiert nur der Balkan, weil er euch räumlich näher liegt. Unsere Konflikte sind euch gleichgültig. Zweitens: Wenn bestimmte Gewaltgruppen, die sich Rebellen oder wie auch immer nennen, die Bevölkerung terrorisieren und die Menschen abschlachten, ist es Aufgabe der UN, nicht wegzusehen, sondern die Menschen zu schützen.
Im Kongo ist ein Einsatz nur in einer Stadt geplant, ähnlich wie in Afghanistan. Ist das mehr als Symbolik?
Dieser Einsatz kann natürlich nur ein Element sein. Tatsache ist übrigens, dass die internationale Gemeinschaft 1996, als Uganda und Ruanda auf das Gebiet des Kongo vorgedrungen sind, im Grunde augenzwinkernd weggeguckt hat, weil es gegen Mobutu ging. Es geht darum, dass die Nachbarländer sich nicht länger einmischen und zweitens darum, dass es wieder eine handlungsfähige Regierung gibt und dass diese dauerhaft unterstützt wird.
Das Phänomen des Staatszerfalls können solche punktuellen Einsätze wohl kaum stoppen.
Nein. Wir können nur dazu beitragen, ihren Zerfall zu verhindern, wenn wir in Konfliktsituationen dort bleiben und den Versuch machen, demokratische Staatlichkeit zu stärken.
Aber die Wirklichkeit sieht doch ganz anders aus: Der internationale Währungsfonds und die Weltbank, in der Sie ja Gouverneurin sind, setzen auf einen schlanken Staat.
Deshalb müssen wir dazu beizutragen, dass der mit den neoliberalen Zumutungen verbundene Druck zurückgenommen wird. Denn der schränkt die Regierungen in ihren Handlungsspielräumen ein. Weltbank und IWF müssen dazu beitragen, dass staatliche Strukturen in den Entwicklungsländern gestärkt und unterstützt werden. Der Markt allein richtet es nicht, wie manche gedacht haben.
Warum ergreifen Sie nicht die Initiative für einen Politikwechsel in der Weltbank?
Die Weltbank ist – auch durch unseren Einfluss – längst der Überzeugung, dass nur starke Institutionen und Regeln zusammen mit dem privaten Sektor Entwicklung voranbringen. Für die ärmsten Entwicklungsländer gibt es die früheren Strukturanpassungsprogramme nicht mehr, das haben wir bei der Entschuldungsinitiative durchgesetzt. Die Entwicklungsländer müssen inzwischen auch einen Plan zur Armutsbekämpfung erarbeiten und nicht mehr nur einen Plan zur Sanierung ihrer Staatsfinanzen. Und die Zivilgesellschaft hat mehr Mitspracherechte als früher. Aber ganz sicher muss man dem Trend der neoliberalen Verstärkung des staatlichen Zerfalls noch energischer Einhalt gebieten.
Die demokratische Linke war traditonell gegen einen starken Ordnungsstaat. Sie aber plädieren heute für einen starken Staat?
Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der großen Kriege zwischen den Staaten. Die große Gefahr des 21. Jahrhundert liegt mehr in innerstaatlichen Konflikten, in den zerfallenden Staaten, in privatisierter und kommerzialisierter Gewalt. Zumal wenn dies mit Wirtschaftsinteressen, Öl-, Drogen-, Diamanten- oder Waffenhandel verbunden ist. Deshalb müssen wir einerseits schwache Staaten demokratisch stärken, gleichzeitig aber auch verhindern, dass sich Gewaltgruppen finanziellen Nachschub verschaffen und dauerhaft Unterstützer mobilisieren. Ist das erst einmal passiert, ist es sehr schwer, einen Weg zurück zu friedlichen und demokratischen Verhältnissen zu finden.
Welche Konsequenzen hat das für Ihre Politik?
Wir beraten zum Beispiel die Partnerländer im Bereich der inneren Sicherheit. Häufig ist da das Problem, dass Militär und Polizei gar nicht auf Demokratie und Verfassung verpflichtet sind. Aber in früheren Jahren hätte ich „Feuer“ geschrien, wenn jemand mir das vorgeschlagen hätte.
Muss sich Entwicklungspolitik also mehr um das Militär in den Partnerländern kümmern?
Wenn die Weltbank Programme bewertet und dazu die Haushalte von Entwicklungsländern analysiert, sind die Militärbudgets bisher nicht mit untersucht worden – weil das als „politisch“ galt. Und die Weltbank ist angeblich ja ganz und gar unpolitisch! Das ist falsch: Man kann nicht nur den Finanzsektor oder die Ausgaben für Gesundheit oder Bildung analysieren, man muss sich auch die Struktur der Ausgaben im Militärbereich ansehen. Also nicht nur: Wie hoch sind die Militärausgaben, sondern auch, wofür genau wird das Geld verwendet?
Armeen und Milizen sind auch Gewaltunternehmer, für die Kriege Einnahmequellen sind.
Deshalb müssen diese Einnahmequellen verstopft werden. Ein Beispiel: Diamanten, an denen Blut klebt, dürfen nirgendwo mehr gehandelt werden. Das ist Teil des so genannten Kimberley-Prozesses. Damit wird der Nachschub an der Stelle gestoppt. Ein wichtiger Bereich, der noch nicht umgesetzt ist, ist die Frage, wie transparent eigentlich das Geschäft mit dem Öl ist. Es gibt den Vorschlag, Öl fördernde Unternehmen müssten ihre Zahlungen an Länder offen legen und diese Länder die Zahlungen in ihrem Haushalt ausweisen. Eine solche Transparenz könnte dazu beitragen, zu verhindern, dass Finanzierungsmechanismen an gewalttätige Gruppen sich fortsetzen. Das eine ist, gewalttätigen Gruppen notfalls auch militärisch in den Arm zu fallen. Das andere ist, ihre Finanzierung zu verhindern.
Häufig sind Militärapparate, ob staatlich oder privat, die größten Arbeitgeber und deswegen sehr attraktiv.
Die Leute müssen wirtschaftliche Perspektiven haben, sonst ist die Gefahr groß, dass sich informelle Gangs und Gewaltgruppen bilden, die dann auf eigene Faust versuchen rauszuschlagen, was sie können. Deshalb: Wenn es in einem Friedensprozess möglich war, die unterschiedlichen Gewaltgruppen zu einer friedlichen Lösung zu bringen, dann braucht man anschließend auch Mittel, um Kombattanten wieder in die Gesellschaft zu integrieren.
Ihr Ministerium fördert die zivilen Friedensdienste. Warum organisiert man dies nicht auf multilateraler und europäischer Ebene wie beim Militär?
Ich finde, dass man freiwillige entwicklungspolitische Dienste in allen EU-Staaten ausbauen sollte. Wir haben ja bereits den Rahmen des freiwilligen sozialen Jahrs so erweitert, dass man es auch außerhalb Europas ableisten kann. Die Frage ist nun, ob man es hinbekommt, so etwas wie ein „Friedenskorps“ zu schaffen. Bevor man das europäisch vereinheitlicht, sollte man aber die bilateralen Ansätze voranbringen. Wir haben zum Beispiel mit unseren französischen Kollegen vereinbart, dass wir die Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Entwicklungsdienst und der französischen Partnerorganisation verbessern.
Sie befürworten den Kongo-Einsatz. Sind Sie auch für eine schlagkräftigere Interventionstruppe der EU?
Das ist in der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik angelegt. Und der Einsatz im Kongo ist ja einer der Europäischen Union.
Wären Sie in diesem Zusammenhang auch für höhere Militärausgaben?
Bei den Militärausgaben muss man immer sehr genau gucken, welcher Teil zur Konfliktprävention gehört. Das erfordert ein Umdenken beim Militär, aber auch bei denen, die sich selbst als pazifistisch verstehen, oder bei der Friedensbewegung. Bei den „Militärausgaben“ kann man nicht alles über einen Leisten schlagen.
Sie äußern sich in letzter Zeit immer häufiger zum Thema Krieg. Fällt das überhaupt in Ihr Ressort?
Natürlich. Denn die Verhinderung von Krieg ist die nachhaltigste Entwicklungspolitik, die man leisten kann. Die große Gefahr, vor der ich warne, ist eine Verschiebung der internationalen Agenda: mehr Rüstungsausgaben und weniger Bekämpfung der Armut.