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Archiv-Artikel

Streichen bis der Rotstift brichtZentrum für Frauengesundheit

Sparen 2003 – Beratungsstellen wird der Geldhahn zugedreht, Behinderten werden die Finanzen gekürzt und vieles mehr: Die taz fasst zusammen

900 Unterschriften haben die Mitarbeiterinnen des Frauengesundheitszentrums am Wochenende gesammelt, nachdem die große Koalition am Freitag entschieden hatte, ihnen den Geldhahn zuzudrehen. „Das wird teuer“, sagt die Bremer Professorin für Frauengesundheit Petra Kolip. Ein Beispiel: „Frauen wird viel zu häufig ihre Gebärmutter entfernt, weil Ärzte nicht über Alternativen aufklären.“ Neben den Operationskosten schlügen dann die Folgekosten für physische und psychische Schäden zu Buche. Eine weitere Entlastung des Gesundheitssystems: In Kursen lernen Frauen ihren Körper kennen und wissen, wann sie zum Arzt rennen müssen. Doch die politisch Veranwortlichen einschließlich der Gesundheits- und Frauensenatorin Karin Röpke halten das Projekt für verzichtbar. „Kein Geld“ heißt es. Inhaltliche Gründe? Fehlanzeige. Siegfried Breuer, für die SPD im Koalitionsausschuss zuständig für Soziales und Gesundheit: „In Bremerhaven gibt es so etwas gar nicht.“ eib

Bremer AIDS-Hilfe

„Wir beschäftigen HIV-Infizierte, die keinen Job bekommen, betreiben Haftvermeidung bei Drogenabhängigen und bieten für alle gesellschaftlichen Gruppen Beratung“, argumentierte Thomas Fenkel von der Bremer AIDS-Hilfe gestern für deren Erhalt. Werde die AIDS-Hilfe weggespart, würden deutlich höhere Folgekosten auf Bremen zukommen: Jede verhinderte Infektion sei ein potenzieller Sozialhilfefall weniger, rechnete er vor. Dennoch will der Koalitionsausschuss lieber jetzt die 160.000 Euro sparen. Es gebe noch eine Beratungsstelle beim „Rat und Tat“-Zentrum, sagte SPD-Verhandler Siegfried Breuer, dem nicht geläufig war, dass das „Rat und Tat“ und die AIDS-Hilfe sich um unterschiedliches Klientel kümmern. Vor allem Frauen, MigrantInnen und Jugendliche suchen Rat bei der AIDS-Hilfe. Michael Engelmann, Bundesvorsitzender der Schwusos, sprang ihm bei: „Die Infektionszahlen steigen wieder“, das Angebot müsse erhalten bleiben. ube

Landespflegegeld (Blindengeld)

Bremen könnte das erste Bundesland sein, das blinde und schwerstbehinderte Menschen künftig nicht mehr speziell unterstützt. Bisher erhält jeder der zurzeit etwa 800 Empfänger gut 300 Euro unabhängig von seinem Einkommen – das so genannte Landespflegegeld, das auf der Streichliste steht. „Blinde brauchen mehr Geld als andere, zum Beispiel für Literatur in Blindenschrift“, sagte Uwe Boysen aus Bremen, Vizevorsitzender des Vereins der Blinden und Sehbehinderten. Und Schwerstbehinderte brauchen das Geld unter anderem, um Begleitungen zu bezahlen.

Bereits vor zwei Jahren sollte das Landespflegegeld abgeschafft werden. Es blieb dann bei einer Senkung um 100 Mark. „Dass es die Politik nun wieder versucht, zeigt, dass man sich auf niemanden mehr verlassen kann“, so Willi Winkelmeier vom Verein Selbstbestimmt Leben. Dabei fand es CDU-Chef Bernd Neumann vor zwei Jahren „unerträglich, dass sich Blinde künftig in die Schlange der Sozialhilfebezieher einreihen sollten.“ mv

Erziehungsberatung

So niedrigschwellig wie möglich sollten sie eigentlich arbeiten, die Erziehungsberatungsstellen. Von diesem Ziel aber werden sie sich nach den jüngsten Beschlüssen des Koalitionsausschusses in Zukunft noch ein Stückchen mehr entfernen.

Von den sieben Standorten, die es zurzeit gibt, sollen nur vier überleben. Diese vier sollen zusammengehen mit dem Schulpsychologischen Dienst. Natürlich geht es auch hier ums Sparen. Von den jetzt rund 16 Stellen sollen zwischen drei und sechs Stellen entfallen. Auch der Schulpsychologische Dienst befürchtet Einsparungen.

Durch den Personalabbau im vergangenen Jahr hat sich schon jetzt die Wartezeit auf eine Beratung auf bis zu vier Monate erhöht. „Wir schrecken damit alle ab, die so ein Angebot ohnehin nur zögerlich in Anspruch nehmen“, sagt ein Mitarbeiter. Jetzt kommt dazu noch die räumliche Entfernung. „Wie weit muss man sein, um heute für Oktober einen Termin in acht Kilometer Entfernung auszumachen?“ Am Ende könnte die Regierung die Einsparung an dieser Stelle teuer bezahlen: Mit Heimunterbringungen und anderen kostspieligen Hilfen. hey

Hilfe für Zwangs-Prostituierte

Derzeit werden Opfer von Zwangsprostitution von einer Fachberatungsstelle der Evangelischen Kirche betreut. Das befristete Projekt, in dem sich zwei Mitarbeiterinnen eine halbe Stelle teilen, läuft im Herbst aus. Nachdem die Finanzierung zunächst von der Kirche und dann, zur Überbrückung mit Wettmitteln gesichert worden war, hatte Sozialsenatorin Karin Röpke zugesagt, dass die Mittel für die Beratungsstelle in den Doppelhaushalt 2004/05 eingestellt werden würden. Alles vorbei: Der Koalitionsausschuss hat zwar festgestellt, dass Menschenhandel „eine der widerwärtigsten Formen der organisierten Kriminalität“ sei. Dennoch hat er das Ende der Fachberatung eingeläutet: Da sich die Opfer als Zeuginnen im Interesse der Strafverfolgungsbehörden hier aufhielten, sei es „Aufgabe des Landes, diese Arbeit über ihre Regeldienste dauerhaft wahrzunehmen.“ Konkret heißt das: Die ambulanten Sozialdienste sollen die Zwangsprostituierten mitversorgen. jox

Die Ausländer-Beauftragte

Bremens Ausländerbeauftragte Dagmar Lill war bislang unabhängig. Nun sollen sie und ihre Behörde ins Sozialressort eingegliedert werden, „um Synergieeffekte zu erzielen“. In Niedersachsen hat die Landesregierung jüngst die Ausländerbeauftragte dem Innenministerium unterstellt, in Hamburg hat der CDU-Schill-Senat das Amt komplett abgeschafft. Künftig soll also die eine Behörde Ansprechpartner für MigrantInnen sein, während die andere ausführendes Organ des Ausländerrechts bis hin zur Abschiebung ist. Marieluise Beck, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, übt deutliche Kritik an dem Beschluss: „Mit der Beschneidung der Ausländerbeauftragten leistet die große Koalition der bremischen Integrationspolitik einen Bärendienst.“ Es brauche nicht mehr Verwaltung, sondern „mehr Moderation und Vermittlung zwischen Migrantenbevölkerung und Verwaltung“. Eine weisungsgebundene Beauftragte dagegen werde das Verwaltungshandeln kaum kritisch begleiten können. jox