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Archiv-Artikel

„Wo soll ich screenen?“

„Ich kann nicht die Universitäten totsparen und gleichzeitig nach Elite rufen“: Der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth über die Spitzenuni-Debatte, Probleme der IUB und die Proteste der Studis

taz ■ Gerhard Roth (61) gehört zur Elite: Der Mann ist Professor für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie an der Uni Bremen und Rektor des Hanse-Wissenschaftskollegs in Delmenhorst. Seit Dezember ist er obendrein Präsident der Studienstiftung des deutschen Volkes, die „hochqualifizierte“ Studenten und Doktoranden finanziell und ideell fördert. Der doppelt promovierte Roth, der Philosophie, Germanistik, Musikwissenschaft und Biologie studiert hat, setzt sich für einen interdisziplinären Brückenschlag zwischen Naturwissenschaften, Geistes- und Sozialwissenschaften ein.

taz: Herr Professor Roth, wie zielführend ist der Vorschlag von Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD), fünf deutsche Unis mit finanzieller Förderung aus Berlin zu Eliteuniversitäten hochzupäppeln?

Gerhard Roth: Ich bin da extrem skeptisch. Geld ist schön und gut, aber bitte nicht an ganze Universitäten. Das wird dort gleich wieder verwurstet. Ich bin der Überzeugung, dass es überhaupt nicht geht, Eliteuniversitäten herauszubilden – erst recht nicht von oben. Was wir brauchen ist, dass einzelne Studiengänge oder Disziplinen nicht nur in der Forschung, sondern insbesondere auch mit Lehrangeboten in den Wettbewerb treten um eine bestimmte Summe, die natürlich zur Verfügung stehen muss. Irgendeine Universität ist dann in Romanistik oder Slawistik oder Neurowissenschaften, am besten in allen drei Fächern, Elite.

Wie glaubwürdig ist der Ruf nach Elite, wenn die Politik gleichzeitig bei den Universitäten den Rotstift zückt und heftig zusammenstreicht?

Das ist die Absurdität der heutigen Situation. Eliteförderung braucht auch eine Breitenförderung – wo soll ich denn screenen, wenn die Unis insgesamt runtergehen? Ich kann nicht die Universitäten totsparen und gleichzeitig nach Elite rufen. Nun ist Frau Bulmahn, die ich in vielerlei Hinsicht schätze, von dieser Diskussion kalt erwischt worden. Das haben sich Kanzler Schröder und wer auch immer ohne sie ausgedacht. Und jetzt muss die Ministerin sehen, was sie daraus macht – aber Schnellschüsse sind nicht besonders gut..

In vielen Medien wurde jetzt über die Grohner International University als glorreiches Beispiel berichtet...

Man kann der IUB nur Glück wünschen. Sie hat‘s ja sehr, sehr schwer, Geld zu bekommen. Vor Jahren, als sie gegründet wurde, sah das alles noch ganz rosig aus. Doch im Augenblick sind die Taschen absolut zugeknöpft. Ich kann nur hoffen, dass die IUB nicht doch auf staatliche Zuschüsse angewiesen ist, was sie immer nachdrücklich abgelehnt hat. Ansonsten kann ich diesem Konzept nur viel Glück wünschen.

Wieso sind Sie eigentlich in Deutschland geblieben, wo doch die akademische Elite angeblich viel lieber in den USA forscht und lehrt?

Ich hatte in der Tat gerade ein Jobangebot von der University of Chicago, als ich meinen jetzigen Job angeboten bekommen habe. Ich war 32 Jahre alt – wenn man da einen Lehrstuhl angeboten bekommt, dann bleibt man in Deutschland. Ich bin auch aus kulturellen Gründen hier geblieben, mir gefällt es in Europa besser – obwohl Amerika schon sehr attraktiv ist. Mich fasziniert an den USA das ideologische Klima im positiven Sinne: der Leistungsdruck, die Leistungsanforderung, aber auch die Wertschätzung für junge Leute, der Stellenwert des wissenschaftlichen Arbeitens.

Wie beurteilen Sie die jüngsten Studentenproteste?

Die waren natürlich berechtigt. Ich will ja gar nicht behaupten, dass es in Bremen trostlos sei. Bremen ist ja eine Uni, die relativ ausgenommen wurde bei den Kürzungen. Aber bei anderen Universitäten, die ich kenne, ist das schon grauenhaft, wie dort gekürzt wird. Wem soll man da die Schuld geben? Wenn der Staat pleite ist, ist er pleite. Gleichwohl ist es ein Trauerspiel. Jeder weiß: Bildung und Wissenschaft ist mit das Wichtigste, was Deutschland hat. Und das zu kürzen, wo andernorts das Geld doch noch fließt, ist töricht.Interview: Markus Jox