: Da lacht der Werder-Fan
Die giftigen Verbalattacken aus München lassen die Anhänger von Werder Bremen kalt. Nach der lockeren Fußballübung mit dem 6:0 gegen den HSV zweifelt niemand mehr am Titelgewinn
AUS BREMENBENNO SCHIRRMEISTER
Nach dem Spiel verwandelt sich Dönermeile vom Stadion Richtung Bremer Altstadt zum plaudernden Freiluft-Bistro. Die Vorgärten werden gedüngt, besonders intensiv diesmal, weil jedes Tor begossen sein will. Bierhaltige Stimmen intonieren Lieder von Meisterschaft und ausgezogenen Lederhosen, ja, ja, das Bayernspiel steht auch noch aus. Uli Hoeneß soll einen hohen Sieg der Münchner gefordert haben, na, aber da kann der gemeine Werder-Fan nur lachen. Vorausgesetzt er kann noch lachen, während er, die Meisterschale aus Pappe unterm Arm, den widerspenstigen Hosenstall zähmt. Na, ist denn Werder nicht gerade Meister geworden?
Neunundzwanzig Sekunden dauert’s. So lange braucht Ivan Klasnic, um den Hamburgern nach dem Anstoß den Ball abzujagen und von der Spielfeldmitte erstmals aufs Gästetor zu schießen. Keeper Tom Starke, der sein erstes komplettes Bundesliga-Spiel erlebt, ist etwas weit vorgelaufen. Jetzt springt er überrascht hoch. Uff, gerade noch erwischt die Kugel. Festhalten kann er sie nicht, bekommt sie schließlich aber doch unter Kontrolle. Das wird ihm selten genug gelingen während der Partie Werder Bremen gegen den Hamburger SV. Sie endet verdient mit 6:0 für die Heimmannschaft. Deren Keeper Andreas Reinke wird ein einziges Mal zu Strafraumakrobatik gezwungen: In der 70. Minute klärt er per Hechtsprung bei einer Rückgabe des eigenen Verteidigers Ismaël.
Erwähnenswert ist die Eröffnungsszene nicht wegen Starkes Achtungserfolges, sondern wegen seiner Unsicherheit: Der Ball kam weder hart, noch platziert aufs Gehäuse – maximal war der Schuss ein Test für den letzten Mann. Und Starke fiel durch. Gut möglich, dass Werder damit den Hauptschlüssel zum Hamburger Tor entdeckt hatte. Ein bisschen Druck: Der HSV wackelt. Ein bisschen mehr: Er fällt. Den ersten Treffer verzeichnet der Spielbericht in der 10. Minute. Nach Abstimmungsproblemen im Anschluss an einen von Johan Micoud geschlagenen Eckball klärt Sergej Barbarez, noch der beste der kläglichen Hamburger Elf, per Kopf ins eigene Tor. Später dann ein fast zu lässig von Ismaël geschossener Freistoß: Starke, sichtlich entscheidungsschwach, fasst sich endlich ein Herz und hechtet. Leider in die falsche Richtung.
Kaum weniger unglücklich ein Klärungsversuch Ende der zweiten Halbzeit. Da steht es bereits 4:0 durch Treffer von Klasnic und auch wieder Ailton – na wer sagt’s denn – er kann’s noch. In der 80. Minute also rennt dann der für den Goalgetter eingewechselte Nelson Valdez, eskortiert, aber nicht gestört vom Hamburger Collin Benjamin, auf Starke zu. Der grübelt, ob er die Linie hüten oder rauskommen soll. Als er die zweite Variante wählt, öffnet er dadurch dem Stürmer die Lücke, Valdez vollendet aus ultraspitzem Winkel. Der Schlussmann taumelt zurück, stürzt in die Maschen. Demontiert, noch bevor er Victor Skripniks lapidaren Elfmeter passieren lassen muss. Bemitleidenswert.
Waren es didaktische Absichten? Hatte es persönliche Gründe? Bremen spielte am Samstag in einer völlig anderen Liga als Hamburg. Doch das dürfte weniger an Werders Brillanz gelegen haben, als an der Selbstaufgabe des HSV. Das Gerücht eines Anti-Bayern-Solidarpakts im Norden hatte vor der Begegnung die Runde gemacht. Und Gästetrainer Klaus Toppmöller schien es nicht entkräften zu wollen: Rätselhaft bleibt sein Entschluss, nicht nur die Leistungsträger Rodolfo Cardoso und Bernardo Romeo auf der Bank zu lassen. Ausgerechnet gegen den Spitzenreiter probierte er den Newcomer im Tor aus. Starke rackerte, schwitzte, mühte sich. Und machte, wie jeder, der etwas tut, was ihn heillos überfordert, eine erkleckliche Anzahl von Fehlern. Die übrige Hamburger Abwehr wurde überhaupt nicht gesichtet.
Was blieb, waren freie Räume, durch welche die Bremer lustvoll tobten. Eine Erste-Mai-Demonstration der Fußballkunst, temporeich, launig, sehenswert. Nein, es war kein Entscheidungsspiel: Beim Match am kommenden Samstag in München wird sich Bremen den Titel holen, das steht fest. Für den Fan zumindest, so wahr sein Hosenlatz nach langem Kampf geschlossen ist. Doch das Spiel gegen den HSV war in dieser Sache bloß ein Muster ohne Wert: Bestenfalls eine Vorübung mit moralhebender Wirkung. Aber beileibe kein ernsthafter Test.