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Archiv-Artikel

Gefährliche Brücken

Ein Münsteraner Toxikologe steht ab heute vor Gericht: Er soll durch sein Gutachten einen groben zahnärztlichen Behandlungsfehler gedeckt haben

Ich habe den Eindruck, dass die Toxikologen mit der Pharmaindustrie Seilschaften bilden

VON NATALIE WIESMANN

Karen-Inga Kroog ist Frührentnerin, weil ihr Körper Anfang der 90er Jahre durch eine Nickel-Brücke vergiftet wurde. Heute klagt die Bremerin vor dem Landgericht Münster gegen den Gutachter Professor Fritz Kemper, der einen Zusammenhang ihrer körperlichen Symptome mit dem Nickel in ihrem Blut bestritt.

„Sie können sich nicht vorstellen, was ich durchgemacht habe“, sagt die 59-jährige Ex-Krankenschwester. Trotz erwiesener Nickel-Allergie setzte ihr Zahnarzt eine Brücke ein, die zu 64 Prozent aus Nickel bestand – die Frau war über die Legierung in ihrem Mund nicht informiert. Die bis dahin nach eigenen Aussagen „immer gesunde, starke Frau“ reagierte mit Rachenerrötungen, Haarausfall, Nagelpilz, Nervenerkrankungen und anderen Leiden auf den Fremdkörper in ihrem Mund. Ein Allergologe nannte dies einen „groben Behandlungsfehler“. Dieser wurde jedoch 1997 nicht bei Kroogs Prozess gegen ihren Zahnarzt vor Gericht geladen. Stattdessen hatte man den erfahrenen Münsteraner Umweltmediziner Kemper zu Rate gezogen. Dieser diagnostizierte in seinem Gutachten der Patientin eine psychosomatische „Multiple Chemikalien-Empfindlichkeit“ (MSC) und konnte keinen Zusammenhang zwischen der Nickel-Brücke und Kroogs Leiden erkennen.

„Es hat schon fast System, körperlich ausgelöste Erkrankungen zu psychomatisieren“, sagt der Münchner Umweltmediziner Hans-Christoph Scheiner. Er kämpft seit Jahren um die Anerkennung der körperlichen Schäden, die durch den Mobilfunk verursacht werden. Auch hier werden die Beschwerdeträger oft als „spinnert“ abgestempelt, weiß der bayerische Experte. „Die Gutachter nehmen meistens die Position des Stärkeren ein“. Gutachter Kemper hätte im Fall Kroog eindeutig schulmedizinische Tatsachen verschwiegen oder sie zu Ungunsten der Patientin verdreht. „Ich habe den Eindruck, dass die toxikologischen Lehrstühle in Deutschland Seilschaften mit der Pharmaindustrie gebildet haben“, sagt Scheiner zur taz.

„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“, reagiert Fritz Kemper auf die Kritik seines bayerischen Kollegen. Kemper war vor seiner Emeritierung jahrelang Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxologie an der Universität Münster. Er sei wie die „Jungfrau zum Kinde“ in diesen Prozess geraten. „Mein Gutachten von damals war richtig“, sagt Kemper. Mehr will der heute 77-Jährige zum „schwebenden Verfahren“ nichts sagen.

Der renommierte Gutachter Kemper war später in Zusammenhang mit BSE in die Kritik geraten: Als deutscher Vertreter eines wissenschaftlichen Lenkungsausschusses auf EU-Ebene hatte er 1999 für die Aufhebung des Fleischimport-Verbots aus Großbritannien eingesetzt. Laut Politmagazin „Monitor“ hatte Kemper die BSE-Tests als absolut zuverlässig eingestuft – im Gegensatz zu seinen französischen Kollegen und auch zu anderen deutschen BSE-Experten.

„Ich halte den Mann für nicht zurechnungsfähig“, sagt die Klägerin Kroog. Ihr sei bekannt, dass der damals bereits 70-jährige Toxikologezum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung selbst an einem Gehirntumor litt und das Gutachten mit dieser Begründung immer wieder verschob. Ein späteres Gutachten könnte ihr vielleicht weiterhelfen: Ein anderer renommierter Toxikologie sieht die Brücke aus Nickel als Auslöser von Kroogs Krankheiten.