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Archiv-Artikel

Die ganze Vielfalt der polnischen Küche

taz-Serie „Polen in einem Tag“ (Teil 7): In den Restaurants von Słubice wird Internationalität groß geschrieben

Um die westpolnische Küche zu verstehen, muss man die in Brandenburg kennen. Oder besser die, die sie vorzugeben versucht. Schließlich herrsche im Lande eine kulinarische Einöde sondergleichen, urteilte jüngst der Soziologe Ulf Matthiesen. Bockwurst und Kartoffelsalat statt Carpaccio und Rucola – so ist unser Brandenburg, immer etwas hinter dem Mond.

Ganz anders dagegen die polnische Küche. Hier schaut man sich nicht hilflos um, sondern blickt freudig in die Zukunft. Das glauben Sie nicht? Dann folgen Sie uns auf unserer gastronomischen Erkundung im polnischsten aller Schlemmerparadiese: in Słubice.

Wer die Stadtbrücke von Frankfurt nach Słubice überquert und die Zigarettenstraße hinter sich gelassen hat, findet am Plac Przyjaźni sogleich eine erste Adresse. Gutpolnische Küche, reichlich Auswahl – kein Studentenschuppen ist das „Odra“, sondern ein richtiges Restaurant. Selbst die Frankfurter essen hier, vor allem im Sommer, wenn man draußen sitzen und ungestraft neugierig sein kann. Es wird ihnen aber auch leicht gemacht: Im „Odra“ kann man nicht nur „Filet z kurczaka“ bestellen, sondern auch „Hähnchenbrust“. Wenn das mal keine Abwechslung zu Kartoffelsalat und Bockwurst ist.

Dass das „Odra“ kein typisches Restaurant in Słubice ist, zeigt die Bar „Jan Min“. Kuchnia Azjatycka – asiatische Küche, das ist, worauf man sich bei Jan Min spezialisiert hat. Allerdings wird, wie der Słubicer Küchenforscher Felix Ackermann entdeckt hat, „zu den diversen Nudel- und Reisgerichten aus Rücksicht auf die polnischen Essgewohnheiten auch Krautsalat gereicht“. Auch der vietnamesische Koch, der hier einst Pionierarbeit leistete, sei inzwischen von einem Einheimischen verdrängt worden. Der Konkurrenzkampf ist groß in Polens Schlemmerparadies, vor allem, wenn es um die internationale Küche geht.

Denn „international“, das ist das Markenzeichen der Słubicer Gastronomie. Auch die beiden beliebtesten Pizzerien am Ort, das „Amigo“ und das „Patrol“, machen ganz auf International Style, hier ein bisschen italienisch, dort ein bisschen amerikanisch und zwischendurch immer wieder polnisch. Und natürlich asiatisch. Neben amerikanischer Pizza gibt es im „Patrol“ selbstverständlich auch Hähnchen mit Nusssoße.

Noch immer nicht überzeugt von der Welt, die in den Słubicer Küchen zu Gast ist? Also gut: Nach einem oder zwei Wodkas im „London Pub“ steuert die Gastrotour ihrem Höhepunkt entgegen: dem Restaurant „Ramzes“. Alles, was hier nicht polnisch ist, ist ägyptisch. Das gilt nicht nur für die Wandmalereien samt Hieroglyphen, sondern auch die in Polnisch, Deutsch, Englisch und Russisch verfasste Speisekarte. Dort gibt es Hähnchen Spezial und Spezial-Hähnchen, Hähnchen Spezial à la Ramzes und Spezial-Hähnchen à la Ramzes. So wird die Speisekarte länger und länger, ohne dass sich an den Zutaten (Hühnerfleisch, Salat und Soße) etwas ändern würde. Ulf Matthiesen, der Kritiker der brandenburgischen Küche, hätte seine helle Freude. Und vielleicht würde ihm einer erzählen, dass es Restaurants wie „Ramzes“, „Piramida“ oder „Sphinks“ inzwischen in jeder polnischen Großstadt gibt. Was ja nicht unbedingt gegen Słubice spricht. Im Gegenteil: Wann wird man schon mal mir nichts, dir nichts zu den Großstädten gezählt?

Wen der ganze Gastrorummel in der heimlichen Hauptstadt des Grenzlandes dann doch an die Hektik von Manhattan erinnert, dem sei zum Abschluss ein Besuch der „Warszawianka“ empfohlen. Am kleinen Hafen von Słubice, abseits der Menschenmassen auf der Zigarettenstraße, gibt es zwar nur Pommes und Broiler, dafür aber jede Menge Romantik und den schönsten Sonnenuntergang an der Oder. Nur ab Juni könnte die Ruhe empfindlich gestört werden. Dann wird womöglich die Fußball-EM auf Großleinwand übertragen. Słubice – die ganze Welt auf ein paar Quadratmetern.

UWE RADA