Eigentlich sind sie erwachsen

Generation Smart: Für Mädchen und Jungs. Auch unter 20 und über 30. Die erste Ausgabe des „jetzt“-Nachfolgers „Neon“ hält entspannt Kurs auf die normalen Dinge des Lebens. Und lässt über ein paar daueradoleszente Aussetzer hinwegsehen

von SILVIA HELBIG
und STEFFEN GRIMBERG

„Kinder haben Sternchen gern, Sternchen ist das Kind vom Stern“. Das muss man einfach hier hinschreiben. Denn der Stern, diese oft schon halbtot geschriebene Allroundillustrierte unserer Eltern, hat sich noch mal zu einem Zeugungsakt aufgerafft, der viel verspricht. Das Geheimnis: Sie haben andere rangelassen.

Die Macher des untergegangenen jetzt nämlich, der jungen Beilage der Süddeutschen Zeitung. Vom kurzsichtig-schnöden Verlag letztes Jahr der Rendite geopfert (ätsch, hat nichts genützt), viel betrauert und schließlich im Internet begraben (www.jetzt.de).

„Keine zwanghafte Tradition“ wollte die Crew um Timm Klotzek (jetzt Neon-Chef). Aber doch ein „geistesverwandtes Produkt“. Das Ergebnis ist gut. Das Beste, was man in der letzten Zeit an Jugendkultur-, Gesellschafts- oder Lifestyle-Gazetten in die Hände bekommen hat. Sagen wir es ruhig: Besser als Spex. Nicht so affektiert-szenig. Sondern 178 Seiten mit Themen, die tatsächlich interessieren. Männer und Frauen, nicht entweder-oder: Wie versaute HipHop-Videos den männlichen Blick verderben. (Ziemlich). Welches Hormon Frauen dazu bringt, nach One-Night-Stands mehr zu wollen. (Oxytocin). Und ob man die GEZ nun in die Wohnung lassen muss oder nicht. (Man muss nicht.)

Wie jedes Magazin hat Neon neben Wahre-Leben-Geschichten auch Promis im Blatt. Doch die Promis, die hier schreiben und erzählen, sind nicht nur irgendwelche Nasen, die gerade irgendeine aktuelle Geschichte machen. Es sind die einfachen HeldInnen der Generation: Heike Makatsch mixt die Kassette ihres Lebens, Charlotte Roche braucht eine Versicherung gegen trottelige Oasis-Fans und Franka Potente erzählt, warum man manchmal die größte Liebe seines Lebens in den Wind schießen muss. Und dazu Nora Tschirner und Benno Führmann auf dem Cover.

Denn obwohl der Titel so klingt, ist Neon kein Hochglanzmagazin. Das Layout ist bemüht unaufgeregt und völlig klar. „Es ist kein Zug von Jugend, wenn Texte schwer zu lesen sind, weil orange Schrift auf gelbem Grund daherkommt“, sagt Klotzek. Und dass sie alle stolz sind auf den neuen, authentischen Stil der Bilder: Fotos, wie selbst geknipst, allein die Motive verraten die Profis hinter der Kamera. Junge Menschen, ganz normal angezogen, manchmal nackt, irgendwo in Deutschland. Oder in L.A., da, wo es verdammt unspektakulär aussieht.

Kurzum: Neon ist interessant, Neon ist authentisch. Neon sieht auch noch gut aus. Das macht misstrauisch. Wer mag schon Perfektion?

Zum Glück ist nicht alles glänzend. Wie schon der Vorgänger jetzt leidet auch Neon am „Generation-Golf-Syndrom“. In den 80er-Jahren sozialisierte Wessi-Daueradoleszenten beschreiben ausnahmsweise mal nicht wie Nutella schmeckt, aber im Großen und Ganzen doch eine schöne heile Welt – München eben.

Zwar will Neon auch politisch sein, schließlich fragt eine der Kolumnen „Was ist noch links?“, doch die Abbildung sozialer Realitäten gelingt nicht. Zum Thema Jugendarbeitslosigkeit gibt’s die Geschichte „Wie man sich in seiner Firma unentbehrlich macht“. Das geht so: Vitamin-B und gut aussehen. Oder schuften bis zum Umfallen und dann den Laden übernehmen. Zu allem Ärger werden die pseudonützlichen Tipps noch mit Streber-Erfolgsgeschichten illustriert.

Und die Redaktion ist sogar noch stolz darauf, so endlich einen Ausweg aus der ewigen medialen Larmoyanz über die Konjunkturkrise gefunden zu haben.

Auch peinlich: Die Liste der 100 wichtigsten jungen Deutschen. Von der Redaktion zusammengestellt, ganz objektiv-subjektiv. Wenn die zukünftigen Leser per Internet darüber abgestimmt hätten, wer „in“ ist, okay.

Aber so wirkt die Auswahl wie aus dem traumhaft breiten Bekanntenkreis gecastet. Da hilft es auch nicht mehr, dass Attac-Koordinator Sven Giegold auf Platz eins ist. Die Spaßgeneration schimmert an solchen Stellen immer noch unangenehm durch, auch wenn sie sich jetzt politischer gibt.

„Eigentlich sollten wir erwachsen werden“ heißt es auch ganz programmatisch auf dem Titelblatt. Sind sie natürlich längst, auch wenn die Vorstellung, „wie Flipperkugeln zwischen diesen Polen“ Jugendlichkeit und Erwachsenenwelt, reichlich daueradoleszent klingt.

Wann und ob das nächste Neon kommt, weiß keiner: Erst wenn mindestens die Hälfte der heute erstmals erscheinenden 150.000 Hefte Abnehmer findet, dürfte der Verlag leichten Herzens über die Ausgabe zwei nachdenken.

Anders als bei diversen Blättern steht im kargen Neon-Basement der bayerischen „Gruner + Jahr“-Dependance übrigens kein Flipper. (Und auch kein Kicker.)