: Talken schützt vor Alter nicht
Seit 15 Jahren lädt der Bremer Jens Schmidtmann zu einer Talkshow für Senioren. Der gelernte Schauspieler ist zu seinen Gästen sanft wie Kerner und gibt auch mal das Mikrofon ab
taz ■ Talkshows, die nach ihrem Publikum benannt werden, gibt es selten. Normalerweise heißen sie wie der Moderator: „Kerner“ oder „Maischberger“ – nicht „Senioren-Talkshow“. Aber deren Macher Jens Schmidtmann spricht für Ältere – und sagt Zielgruppengerechtes: „Tja, auch ich brauche jetzt eine Brille!“ Da wird gelacht im Publikum des Bremers, das Sehhilfen schon etwas länger benötigt. Geschätzter Altersschnitt der zwei Dutzend Zuschauer bei der 249. Ausgabe seiner Talkshow auf dem Restaurantschiff „Deichgraf“: ein gutes dreiviertel Jahrhundert. Und die treuen Fans kennen seine Brillen, so wie Ursula Münzer. „Ach, die letzte ist ja kaputtgegangen!“, ruft sie. Sie war schon 1988 dabei, kurz nachdem Schmidtmann startete. Damals, erzählt er, habe er „etwas für ältere Menschen“ machen wollen. „Da kam mir die Idee mit der Talkshow.“
Nur wie macht man das – talken? Wichtig ist auf jeden Fall Körpereinsatz – siehe zum Beispiel die Maischberger: Klimpert mit den Augen, dass selbst der grantige Altkanzler Schmidt Intimes auftaut. „Schwiegermuttertraum“ Kerner dagegen fasst kumpelhaft an Unterarme – Gast, hier kann dir nix passieren.
Jens Schmidtmann hat von allen etwas. Die Frisur vom nordischen Nachbarn Otto Waalkes, vom Talktyp her ist er ein Gästeschoner à la Kerner. Und das geht so: Schmidtmann macht erst mal Werbung in eigener Sache. Was er schon für Erfolge gefeiert hat! 70.000 Zuschauer, 1900 Gäste in 15 Jahren. Wen er schon alles reden ließ! Heidi Kabel, Henning Scherf und „natürlich“ Rudi Carrell. Oder damals, als er in der Bürgerschaft talken durfte: „Da war Dittmeyer dabei, der mit der Punica“, sagt der Schmidtmann. „Und da gab‘s leckeren Butterkuchen“, ruft Ursula Münzer.
Nach solchen Einleitungen übergibt Schmidtmann an seine Gäste – sogar das Mikrofon. So kann zum Beispiel Dieter Klink, ehemaliger Bürgerschaftspräsident, ausgiebig Werbung für die Wilhelm Kaisen-Stiftung für bedürftige Bürger machen. Und der Gast Jörg Romaus erzählt von dem Bade-, Einkaufs- und Handwerkerservice, den er für ältere Leute anbietet.
Wenn Jens Schmidtmann mal nachfragt, macht er den Kerner und versucht Menschliches zu erfahren: „Herr Romaus, Altenpfleger, warum macht man so etwas?“ „Helfersyndrom“ antwortet der. Kerner hätte jetzt die Hand auf Romaus‘ Arm gelegt. Schmidtmann zupft sich nur zum 200. Mal das etwas verschossene Jackett über dem offenen Hemd zurecht. Das Publikum findet‘s „sehr informativ“, wie einer der beiden Männer im Publikum sagt.
Den Eintritt von fünf Euro haben alle gern bezahlt. Außerdem sponsert den gelernten Schauspieler eine bunte Mischung vom Mineralwasserhersteller über die Stadtwerke bis zu einer Bremer Anwaltskanzlei. Spenden kassiert Schmidtmann auch schon mal vor Zeugen: „Geben Sie 50 Euro, so wie Ihre Kollegin?“ fragt der Talker seinen Gast zur Rechten und holt vor laufendem Mikro die Quittung. Die älteren Damen lachen. So ein bisschen Schlawiner, das mögen sie.
„Ich will Information und Unterhaltung verbinden“, sagt Schmidtmann, der in Serie talkt. Gestern zur 250. Show zum Beispiel mit Bürgerpark-Präsident Heinz-Werner Hempel, Tierschutzpräsident Wolfgang Apel und anderen. Am Donnerstag geht es weiter im Hotel Strandlust in Vegesack. Da kommen ihm wenigstens nicht die Gezeiten in die Quere, denn nach der Show auf der „Deichgraf“ hat die Ebbe die „Deichgraf“ tiefer gelegt hat und die Brücke ans Ufer ist nun zu steil für einige Senioren. Seniorentalk? – Besser bei Flut. Markus Vollstedt