piwik no script img

Archiv-Artikel

Gottesbeweis vom Rhein

Zwei Nonnen zeigten in Bremen, dass Wein viel mehr ist als vergorener Traubensaft

Und dann, das ist ein guter Rat,sagen Sie nie, der Wein sei lecker

Das Schlimmste ist ein Fehlschmecker. „Da schuftet man bei 40 Grad im Weinberg, und will dann eine gute Flasche genießen – und hat einen Korkschmecker.“ Schwester Thekla kippt ihr Weinglas bedenklich weit zur Seite, hebt Hand und Stimme und sagt: „Da kriegen Sie die Krise!“ Weil die Schwestern Krisen und nach Kork schmeckenden Wein verabscheuen, verschließen sie ihre Flaschen jetzt per Schraubverschluss. Ohnehin das Beste, was es gibt. Sagen Kenner. Die Schwestern zählen dazu. Die Kunden finden das richtig. Und sagen laut Schwester Thekla: „Super Schwester. Machense mal.“

Schwester Thekla leitet gemeinsam mit Schwester Andrea das Klosterweingut der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim. Die Geschichte der Abtei reicht bis ins 12. Jahrhundert, als Hildegard von Bingen das Kloster gründete. Ganz selten passiert es, dass die beiden Benediktinerinnen, beide 39 und seit 13 bzw. 17 Jahren im Kloster, ihre Abtei verlassen. „So dürfen Sie sich glücklich schätzen, dass Sie ein auserwähltes Publikum sind“, erklärt Schwester Thekla, „wir gehen doch nicht zu jedem Kegelklub“. Das auserwählte Publikum sitzt unter den gewölbten Mauern im Bremer Ratskeller, sinnt kurz über den Spruch mit dem Kegelclub und fühlt sich dann erst recht erlesen. Es ist der „Weinkonvent zur Rose“, ein Verein, dessen vorrangiger Daseinszweck das Weinkennen, -trinken und die sich so ergebende Geselligkeit ist. Im Glase schwimmt ein 2001er Abtei St. Hildegard Spätburgunder, ein trockener – der erste von neun Weinen. Oha.

Der Kenner kuckt. Begutachtet die Farbe. Nee, nicht einfach rot. Blass? Kräftig, satt gar? Dieser hier, sagt Schwester Thekla, habe die „typische Farbe.“ Dann wird geschnuppert. Nase rein ins Glas und eingeatmet. Der Duft kriecht die Nasenwände entlang und ganz hinten, da schmeckt er schon ein bisschen. Nach Wildfrucht, nach Kirsche, manchmal nach Kaffee oder Mokka.

Durch wildes Schwenken entfaltet der Fachmann einen Sturm im Weinglas, so dass das edle Nass ins Strudeln gerät – womit die Aromen sich noch mehr entfalten. „Erst dann versucht man mal einen kleinen Schluck“, befiehlt Schwester Thekla, „man tapeziert seinen Mund.“ Und dann, das ist ein guter Rat, sagen Sie nie, der Wein sei lecker.

„Lecker“ ist ein Unwort in Kennerkreisen, so auch beim Bremer Konvent. „Lecker“ outet den Unwissenden. Den Supermarkt-Weintrinker. Den Voltzähler. Denjenigen, der findet, ein Wein sei halt rot und trocken. Und lecker. Pfui. Sagen Sie: „Ein Tick zuviel Tanninschärfe und zu wenig Fülle im Abgang“. Sagen Sie: „Nicht so gerbsauer.“ Sagen Sie: „Der Spätburgunder ist eine schwierige Rebsorte.“ Der Spätburgunder der Schwestern Thekla und Andrea ist nicht schwierig. Der ist höchst geschmackvoll und wunderbar. Man könnte auch sagen: lecker. Aber das hatten wir ja schon.

Es folgt Riesling, in vielen Variationen. „Zitrusaromen“, finden die Schwestern darin. Der Konvent schnuppert, schwenkt, schlürft, schmeckt. 60 bis 70 Hektoliter Wein produzieren die Schwestern im Jahr, überwiegend Riesling. 56 Frauen im Alter von 22 bis 91 leben in der Abtei, sie kommen aus Dänemark, dem Rheingau, aus Kroatien oder Ungarn, aus San Francisco oder Ost-Berlin. Schwester Thekla kommt aus Bremen und sagt: „Es ist schon ein Gottesbeweis an sich, wenn so viele Frauen unter einem Dach zusammenleben.“ Der Konvent kichert und schmatzt auf dem Riesling herum. „Domus Domini“, das Haus des Herrn, eine Spätlese. Von der tiefen Sehnsucht der Menschen, zu sich selber zu finden, erzählen die Schwestern, davon, dass die heutige Zeit viele Parallelen zu der Zeit des Heiligen Benedikt aufweise, dessen Regel zu ihrer Maxime geworden ist. Sie erzählen vom täglichen Aufstehen um 5 Uhr, vom Schweigen nach dem Abendgebet. Davon, dass laut Benedikt „ein Mönch nicht jemand ist, der Gott gefunden hat, sondern jemand, der sagt, ich will mein Leben lang Gott suchen.“ Ohne den Glauben an Gott, sagt Schwester Andrea trocken, „ist unser Leben absolut idiotisch.“

Spätlese trocken, Riesling Classic, Rüdesheimer Klosterberg, Hildegardis Scivias – letzteres heißt: wisse die Wege. Ein Weg, den zu wissen lohnt, ist der Weg in den Kübel. Auf den langen Tischen im Ratskeller spiegeln sich Gläser, Weißbrot und Käsewürfel im Chrom der Sektkühler. Der erfahrene Weinprobierer schüttet hierein die Reste seines Glases, wenn die neue Flasche naht. Genießer mit Stehvermögen und Anfänger trinken ihr Glas stets aus. Kosten Zitrus-, Erdbeer- oder Ananas-Aromen mit jedem Schluck aufs Neue.

Grundlage ihrer Arbeit sei, berichten die Schwestern, „die Schöpfung so zu benutzen, dass wir sie nicht ausbeuten, sondern ihr Wachstum befördern.“ Das bedeutet den vorsichtigen Umgang mit Herbiziden. So bei den Motten. Die in Fallen gefangenen Tierchen werden täglich gezählt. Werden es besonders viele, wissen die Nonnen, dass die Flattertiere Hochzeit feiern und in etwa zehn Tagen die Eiablage folgt. Erst dann wird gesprüht. Ähnlich nachhaltig gestalten die Schwestern die Kühlung ihres Kellers: mit von den Klosterdächern gesammeltem Zisternenwasser.

Wasser wird auch gereicht im Ratskeller. Der Kenner nutzt es zur Neutralisierung seiner Kennerzunge. Und zum Nüchternbleiben. Der Anfänger findet es im Wortsinn überflüssig. Und staunt im Duft limoniger Frische über die Damen im Habit, die ihr Kloster so selten verlassen und doch so ganz von dieser Welt sind. „Von dem hier“, ruft Schwester Thekla und schwenkt ein Fläschchen Hildegardis Scivias, „könnt‘ ich jeden Abend ‘ne Flasche trinken. Nur: keine Zeit.“

Der Abend endet im Frohsinn. Im Gekicher über Korkschmecker. Im erfreuten Wahrnehmen, dass irgendwann Schwester Thekla ihrer Mitschwester hinterherpfeift und ein volles Glas reicht. Im Parlieren und Spekulieren über das Klosterleben. Schließlich im süßen Sinnieren über die Directissima zwischen Fahrradständer und Heiabett. Nicht mehr berechnet werden konnte, dass sich mittig auf dieser Achse ein Laternenpfahl befand. Aber das ist eine andere Geschichte. Susanne Gieffers

Mehr Infos über das Kloster und seine Weine: www.abtei-st-hildegard.de