: Sex sells better than theatre
René Pollesch bittet im Sternfoyer der Volksbühne an den Spieltisch: würfeln um Höhepunkte
Vielleicht sind Sie ja einer dieser perversen Einzelkämpfer, die ihren Orgasmus ganz für sich allein wollen? Oder haben Sie genug Gemeinschaftssinn, um in der Gruppe zum Höhepunkt zu kommen? Welcher Triebtyp Sie sind, können Sie jetzt bei dem überraschend interaktiv angelegten René-Pollesch-Abend mit dem vielversprechenden Titel „Du hast mir die Pfanne versaut, du Spiegelei des Terrors!“ im Sternfoyer der Volksbühne testen.
Pollesch inszeniert ein Gesellschaftsspiel zum Mitmachen, eine Art Rollenspiel-Monopoly. Dazu verteilt sich das Publikum um neun mit Goldfransenlampen versehene Tische, um sich den erwähnten einsamen oder kollektiven Höhepunkten entgegenzuwürfeln. Jeder schnappt sich eine Spielfigur (z. B. rosa Plüschhase oder Plastik-Madonna), darf Metzger, Matrose oder Totengräber sein und bricht mit erwürfelten Kraft-, Mut-, Geschicklichkeitswerten zur Überwältigung seines Opfers (z. B. kleine Jungs unter 6) auf.
Was man begehrt und wie man das begehrte Objekt wo erregungsgerecht zuzurichten wünscht, geben die Spielkarten vor und ist gewolltermaßen abwegig pervers. Wer wünscht sich schon Sex mit einem Nashorn, dessen Exkremente auf silberner Obstschale zum Verzehr gereicht werden?
Doch der Entlarvungsfaktor ist gering, ebenso wie das Irritationpotenzial. Wer gestimmt ist, kann einfach seinen Spaß an all den triebbedingten Übertriebenheiten haben und muss außer Spielgeld-Höchstgeboten für erwerbbare Fetischwaren im Grunde nichts Eigenes einbringen. So bleibt auch die Interaktion eher ein Fake, und die Provokation erschöpft sich im Wesentlichen darin, dass man sich gegenseitig furchtbar dreckige (vornehmlich männliche) Fantasien von Ereigniskarten vorliest: „Sie trinken roten Natursekt aus einem roten 12-Zoll-hackigen, hüfthohen Lackleder-Damenschnürstiefel! Geschicklichkeitsprobe! … Bei Misslingen müssen Sie das Zimmer Ihrer Damschaft mit der Zunge sauberlecken.“
Dass man trotz mitunter zäher Würfelrunden bei Laune bleibt, ist nicht nur der beharrlichen Darreichung symbolträchtiger Speisen wie Spiegeleier oder Würstchen, sondern auch der energischen Animationskraft der SpielleiterInnen zu danken. In edler Kasino-Dienstkleidung zahlen sie die aufs Spielfeld „Strich“ gelangten Prostitutionsbereiten aus oder eröffnen den Schwarzmarkt der Sex-Toys. Zwischendurch stellt ein Chor mit Auszügen aus dem „Kontrasexuellen Manifest“ von Beatriz Preciado noch einmal klar, dass Sex letztlich immer die Unterwerfung von Körpern durch andere Körper ist. Oder es regen Texte nach Boris Groys dazu an, die zwischenmenschliche Beziehungslogik mit jener zusammenzudenken, der die chinesische kommunistische Führung bewegt hat, den Übergang zum Kapitalismus zu unternehmen.
Doch diese sex- und kapitalismuskritischen Thesen rauschen ziemlich peripher vorbei. An einem Tisch bläst nach zwei Stunden (und sieben ergatterten Chorszenen) schließlich die Orgasmus-Fanfare zur Ekstase, an den anderen muss man einsehen: Sex sells better than theatre.
ANNE PETER
Wieder am 10./11./18. Januar im Sternfoyer der Volksbühne