: Das Bildnis der Calamity Lynn
Die Folterbilder mit Private Lynndie England spielen mit der Angst des Mannes vor der Domina. Doch eigentlich bestätigen sie die männliche Machtordnung des Militärs
Lynndie England ist über Nacht zur Ikone des bösen Amerika geworden. Ausgerechnet eine Frau. Eine Soldatin posiert als Calamity Jane vor einem nackten Gefangenen. Sie zielt mit einer imaginären Maschinenpistole auf seine Genitalien. Die Zigarette für danach steckt schon zwischen den Lippen. Kastrieren und genießen.
Mehr Bilder werden veröffentlicht, mehr von Lynndie England ist zu sehen. Lynndie England schleift einen Gefangenen mit einem Strick am Hals über den Boden. Lynndie England posiert mit einem Berg nackter Gefangener. Private England bleibt verdächtig lange eine der wenigen Personen, die auf diesen Bildern problemlos identifizierbar ist. Jemand möchte offenbar mit Hilfe von Lynndie England kommunizieren.
Was soll das Bild erzählen? Eine Frau kastriert einen Mann. Wie eine Domina, schreibt ein Kommentator. Im kollektiven Bewusstsein ist das Bild Inventar der sexuellen Fantasie, nicht der Realität: Die Domina ist Provokateurin der Angstlust des Mannes. Das Machtverhältnis starker Mann – schwache Frau wird umgedreht, der Mann regrediert zu einem Stadium, in dem die Mutter die Stärkere und Mächtigere war und erlebt mit Schaudern seine Ohnmacht. Aber nur im Spiel.
Diese Bilder sind besonders perfide, weil sie mit der Angst des Mannes vor der Domina spielen, in Wahrheit aber eine Bestätigung seiner Macht sind: In der Realität behält der amerikanische Mann die Fäden in der Hand. Nicht der männliche Soldat ist ohnmächtig – der Gefangene ist es, an dem die Ohnmachtsfantasien inszeniert werden.
Das System Militär ist nach wie vor eines von männlichen Machtfantasien: Let’s fuck’em. Der Feind wird penetriert, die Frau wird penetriert. Bei den Worten Frau und Militär assoziiert man das männliche Militär als Täter und den weiblichen Menschen als Opfer, die dazugehörige Situation ist die Vergewaltigung. Die Bilder von Lynndie drehen diese Vorstellung nur scheinbar um.
Gerade die Dominanz der Frau sei besonders demütigend für Muslime, schreibt ein mitfühlender Kommentator. Eine interessante Verschiebung. Damenunterwäsche auf dem Kopf, Frauen in Kastrationsposen, auf diese Demütigungsformen wären amerikanische Soldaten nicht gekommen, wenn sie nicht in ihrem eigenen Fantasiereservoir bereit lägen. Gerade das Männlichkeitsbild von Soldaten speist sich aus der Abwertung alles Weiblichen. Sich von einer Frau oder mit ihrer Unterwäsche demütigen lassen zu müssen, heißt, sich von der Unterlegenen quälen zu lassen. Das ist nicht nur die tiefste Demütigung, die muslimische Männer sich ausdenken können. Es ist auch die tiefste Demütigung, die westliche Soldaten sich ausdenken können. Die schwache Frau darf den Gefangenen kastrieren. Und das männliche Militär dokumentiert es. So gelesen wäre Lynndie England ein Instrument des Systems Militär, das sich ihrer bedient, um die größtmögliche Demütigung zu erreichen. Und zwar nicht nur nach dem muslimischen oder arabischen Wertesystem. Nein, nach dem originären Wertesystem der U. S. Army. Nachdem sie diesen Dienst versehen hat, ist die Rolle der Lynndie England vorerst erfüllt, penetriert fährt sie nach Hause, schwanger. Jetzt beginnt die zweite, mediale Karriere. Lynndie England wird nun vorgeführt als das Böse schlechthin, die Umkehrung des Saddam Hussein. Der Teufel ist eine Frau. Eine Frau wird als Bild dafür dienen, dass dieser Krieg in die Hose geht. Es wurden auch weibliche Gefangene vergewaltigt, heißt es. Aber die sehen wir vorerst nicht. Wir sehen nicht die Frau als Opfer, wir sehen nur die Frau als Täterin. Man soll keine Verschwörungstheorien schüren. Aber es ist ungewöhnlich, dass immer nur Lynndie England voll im Bild ist. Kaum spielen Frauen im Militär eine Rolle, sind sie teuflisch.
Ist Lynndie England nur eine Inszenierung? Ist sie nicht auch eine Person? Die offenbar Spaß an den Domina-Inszenierungen hatte? Unter dem Bilderberg befindet sich in der Tat eine reale Lynndie England. Eine Soldatin. Eine Frau, von der ihre Jugendfreundin in US-Medien erklärt, sie habe nicht einmal einen Hund derart über die Straße zerren können, wie sie es auf einem Bild mit einem Gefangenen tut. Die Freundin hat eines vergessen: Was eine Armee und ein Krieg aus Menschen in kürzester Zeit machen können. Die US-Armee arbeitet wie jede Armee mit einem Demütigungssystem: Ständige Frustrationen erzeugen Aggression, die nach außen gelenkt wird. Dieses System wirkt auf alle Soldaten gleich. Für Frauen kommt noch eine Portion Extra-Demütigung dazu: Sie haben sich ständig in einem männlich definierten System zu behaupten, das Weiblichkeit abwertet. Der Krieg, das ist die Situation, in der auch dieser Frust sich Bahn brechen kann. Das breite Grinsen der Lynndie England ist das Grinsen der Frau, die einen Mann demütigen darf. Hinter allen Inszenierungen sehen wir das, was der ganz normale Krieg aus ganz normalen Menschen macht: aus Männern und auch aus Frauen. HEIDE OESTREICH