Als Töchter nicht wichtig waren

75 Jahre gewerbliche Bildung: Die Berufliche Schule Uferstraße blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Und steht heute einem Mangel an Ausbildungsplätzen gegenüber

Heute kann sie sich vor Anmeldungen kaum retten. „Das liegt daran, dass es im Moment zu wenige Ausbildungsplätze gibt“, sagt die Leiterin der Beruflichen Schule Uferstraße, Maria Mielke. Wenn die Situation so bleibt, fehlten ihr zum Sommer fünf Lehrerstellen. Auch die Pläne zur Überführung der berufsbildenden Schulen in eine Stiftung bereiten der 60-Jährigen Sorgen. Viele Lehrer fürchten einen steigenden Einfluss von Vertretern der Wirtschaft auf die Lehrpläne und Bildungsinhalte: „Ich hoffe, dass die Privatisierung jetzt vom Tisch ist“, sagt Mielke.

Als vor 75 Jahren in der Lehranstalt mit dem Namen „Staatliche Allgemeine Gewerbeschule für das weibliche Geschlecht“ der Unterricht begann, hatten die Lehrerinnen andere Probleme: die unfreiwilligen Schulschwänzerinnen. 1923 war in Hamburg das Gesetz zur Fortbildungsschulpflicht eingeführt worden. Seitdem mussten alle Eltern auch ihre Töchter auf eine allgemeine Berufsschule schicken, was in den Familien auf massiven Widerstand stieß.

Die Schülerinnen der Uferstraße waren keine höheren Töchter. In den Familien war das Geld knapp und die Vorbereitung auf Herd und Heirat erschien für Mädchen ausreichend. Viele versäumten monatelang den Unterricht, um eine kranke Mutter zu Hause zu pflegen, während die Söhne in die Lehre geschickt wurden.

Schulpflegerinnen hatten damals die Aufgabe, Vater und Mutter von den Vorteilen der Mädchen-Bildung zu überzeugen. Das war nicht immer leicht, sie berichten in ihren Protokollen von verwahrlosten Wohnungen und aufgebrachten Eltern, die nur Abneigung gegenüber der Schule empfanden. Denn hatte die Tochter bereits eine Stelle, so konnte sie dort während der Schulstunden nicht arbeiten. Und so mochten die Eltern sich damals nicht für die zukunftweisende Bildung der Töchter engagieren, wenn dadurch deren Lohn in der Haushaltskasse fehlte.

Heute steht die Schule natürlich auch Jungen offen und bietet neben hauswirtschaftlichen Fächern und der Fachoberschule für Sozialpädagogik auch Berufsvorbereitung für Migranten und Menschen mit Behinderung an. Mit einem Festakt feiern Lehrer, Schüler und Ehemalige am morgigen 13. Mai das 75-jährige Bestehen der Schule am Eilbekkanal. Stephanie Janssen