: Die Kunst des Umwanderns
Frauen im Kulturbetrieb: Studie beleuchtet Fräuleinwunder und männliche Türhüter
BERLIN taz ■ Als die Komponistin Iris ter Schiphorst anfing, zusammen mit ihrem Kollegen Helmut Oehring Neue Musik zu veröffentlichen, stand im Programmheft der Festivals oft nur sein Name. Nicht 1956, sondern Ende der Neunziger. Der klassische Musikbetrieb denkt sogar da, wo es gar nicht mehr um „Klassik“ inklusive Genie geht, nach „Denkweisen des 19. Jahrhunderts“, sagt die Komponistin. Frauen mit ihrem für Männer offenbar unübersehbaren Körper haben in der Kunst des reinen Geistes nichts verloren. Auch ter Schiphorst kam lange nicht auf die Idee, sie könnte komponieren wollen.
Ein Klassiker ist das unter den Erfahrungen, die Susanne Binas in dem Band „Erfolgreiche Künstlerinnen“ gesammelt hat. Das SPD-Kulturforum und die Philip-Morris-Kunstförderung haben ihn finanziert, gestern wurde er in Berlin vorgestellt.
Doch die Klassik hat auch beim Verhältnis des Kulturbetriebs zu den Frauen ausgedient. Viele fühlen sich kaum diskriminiert oder trafen erst spät auf wirklich männerbündische Inseln, etwa wenn sie von der Literatur zum Theater wechselten. Krimiautorin Thea Dorn erzählte, wie dem Fernsehintendanten in der Kantine das Kassler vom Tablett rutschte, als ihm das weibliche Trio Autorin, Regisseurin und Kamerafrau vorgestellt wurde, das den nächsten Tatort produzieren sollte. Aber gerade die Krimi-Autorinnen können sich überhaupt nicht beschweren: „Heute überlegen Männer, sich ein weibliches Pseudonym zuzulegen, wenn sie ihren Krimi erfolgreich platzieren wollen“, so Dorn. Im Literaturbetrieb sind die männlichen Gatekeeper in Feuilletons und Juries, die etwa in der bildenden Kunst noch hervorragend funktionieren, schon seit längerem buchstäblich umwandert worden. Zwar versuchen sie, das Phänomen Autorin immer noch mit dem Verniedlichungslasso „Fräuleinwunder“ einzufangen, doch „ich vertraue auf die Kraft des Marktes“, so Dorn. Die Leserin identifiziert sich auch mal gerne mit einer Frau. Und der KäuferInnenmarkt besteht zu drei Vierteln aus Leserinnen. Womit, muss man natürlich in dröhnendem Männerbass anfügen, über Qualität noch rein gar nichts gesagt ist.
Das Umwandern von männlichen Türhütern ist auch anderswo in der Kunst populär geworden: Die Musikerin Christina Kubisch entwich dem Virtuosengetue in Richtung Klangkunst, die Künstlerin Katharina Grosse verlagerte das Tafelbild zwischendurch mal auf Hausfassaden. Von Quoten redet in diesem Zusammenhang niemand mehr. Der Tipp der Autorin Binas lautet schlicht und fraglos zeitgemäß: Lernt, euch zu vermarkten.
HEIDE OESTREICH