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Archiv-Artikel

Nach dem Ende der letzten Schicht

Große Monumente machen Arbeit, sie kleinzuschreddern auch. Die Kunst als Arbeitsplatz betrachtet und die Arbeit zum Kunstereignis stilisiert: Beide Strategien verfolgt die Ausstellung „Tätig sein“ der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst. Die Musealisierung von Arbeitsformen schreitet fort

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

A) Gehört der Besuch von Ausstellungen für Sie zur Arbeit oder zur Freizeit? B) Fällt die Parkplatzsuche eher in die Kategorie sinnlose oder sinnvoll verbrachte Zeit? C) Ist Ihnen der Unterschied von Netto und Brutto immer sofort deutlich? Wenn Sie Probleme mit der Beantwortung von A), B) oder C) haben, dann sind Sie ein geeigneter Besucher der Ausstellung „Tätig sein“, mit der die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst den Veränderungen des Arbeitsbegriffs nachspürt.

Kaum eine Tätigkeit verschleißt die Nerven so schnell wie die Suche nach einem Parkplatz. Nur 4’38 Minuten dauert das Video „Parken“ von Asta Gröting, die eine enge Straße mit Parktaschen von oben gefilmt hat, und doch reicht das für ein ausführliches Studium gemeiner Verhaltensweisen wie Blockieren, Ausbremsen, Vordrängeln. Man wird schon beim bloßen Zusehen wütend. Und kann doch eigentlich schon, wie es das Kuratorenteam von „Tätig sein“ formuliert, ein Bild für die „Strategien des Überlebens in der heutigen, neoliberalen Arbeitsgesellschaft“ erkennen.

Lange drückte der romantische Begriff der Bohème den Wunsch nach Unterscheidung zwischen der Kunstproduktion und der kapitalistischen Arbeitswelt aus. Die Kunst war das andere, den Verwertungs- und Effektivitätskriterien der entfremdeten Arbeit Entzogene. Symbolischer Mehrwert statt Geld auf dem Konto. Dass dieser Mythos der Wirklichkeit nicht entsprach, wussten die Künstler zwar schon lange. Dass dieses schöngefärbte Idealbild autonomer künstlerischer Selbstentfaltung aber eines Tages dazu taugen werde, eine neoliberale Arbeitsmoral zu propagieren, die mehr und mehr Arbeitnehmerrechte und soziale Sicherheiten abbaut, war bis Ende der Achtzigerjahre kaum vorhersehbar.

Wie darüber dann doch allmählich ein Bewusstsein entstand, spiegelt sich in vielen Beiträgen der Ausstellung und den Essays des Katalogs. Inga Svala Thorsdottir, Künstlerin und Gastprofessorin in Hamburg, ist langjährige Spezialistin in der Diziplin, den Arbeitsbegriff des Kunstbetriebs mit ebenso viel Ironie wie Fleiß um und um zu drehen. Als ob der Künstler dem Nichtkünstler erst mal durch einen aufwändigen und arbeitsintensiven Einsatz beweisen müsste, dass er seine Konzepte nicht auf der faulen Haut liegend erfindet und umsetzt, stellt sie große Objekte her, zum Beispiel Modelle von Museumsräumen oder von Höhlen, in denen die Götter gewohnt haben könnten. Dann aber werden diese Monumente geschreddert und der Schutt in Einmachgläsern ausgestellt, als wäre es der Kunst plötzlich peinlich, so viel Platz und große Geste beansprucht zu haben. Die Gläser sind wie Kondensate, eine Zusammenpressung von Material und den Begrifflichkeiten der Kunstarbeit. Im Übrigen weiß man nie, ob die Geschichte ihrer Herstellung eigentlich wahr ist. Denn gerade dass zwischen Konzept und Ausführung Verschiebungen der Bedeutung entstehen, macht den Reiz ihres Thor’s Daughter’s Pulverization Service aus.

25 Künstler und Autoren waren für „Tätig sein“ tätig. Es gibt historische Beiträge, wie ein Video von Phill Niblock, die durch die neue Entwicklung eine Bedeutungszufuhr erfahren. In seinen Anfang der Siebzigerjahre entstandenen Videos verfolgte der New Yorker Künstler eine fast ethnologische Perspektive, eine Hommage an die verschwindende Handarbeit. „The movement of people working“ entstand in Peru, Mexiko, Hongkong, Ungarn. Schön sind die Farben, alt und tief gekerbt die Hände, die man weben, Wolle spinnen, schustern, schnitzen, Steine schlagen und den Blasebalg bedienen sieht. Eine vortechnologische Welt, an der Schwelle ihres Verschwindens. Zur gleichen Zeit entstand Allan Sekulas Diaserie über ein Schichtende in einer Flugzeugfabrik. Ihr letztes Bild, beinahe leer bis auf einen Schatten und einen letzten Fuß, scheint heute beinahe prophetisch das Ende der alten Industrie vorwegzunehmen. Das eine scheint heute so museal geworden wie das andere.

An diesem Punkt setzt Michaela Schweiger mit einer Installation und Filmbildern an, die das Ende alter Industriestandorte wie Hoyerswerda mit einer vergangenen Utopie von einer arbeitsfreien Gesellschaft konfrontiert. Ihr Beitrag ist gut durchdacht als Kommentar auf die Veränderung gesellschaftlicher Ideale und Wirklichkeiten, aber, wie das so ist mit lehrreicher Kunst, etwas zu beflissen.

Darunter leidet ein Teil der Exponate, die Anschauung schleppt sich der Theorie hinterher. Jeanne von Heeswijk zeigt eine wunderbare Zeichnung, von großen ineinander greifenden Kreisen, ein komplexes Planetensystem. Die Kreise werden von lauter Namen gebildet. Man muss aber schon im Katalog lesen, um herauszufinden, dass sich diese Namen auf Aktionen der Künstlerin beziehen, in denen sie spezielle Kunstdienstleistungen anbot. Aber mehr über die Kunst lesen zu müssen, als sich durch ihre sinnliche Erscheinung erschließt, macht wenig Spaß. Nicht, dass das Lesen Arbeit macht, stört; sondern dass damit die spezifische Arbeit der Kunstbetrachtung wieder durch eine Form abgelöst wird, in der sich bald alles und jedes auflöst. Buchstaben und Datenströme.

Tätig sein. Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Oranienstr. 25, bis 13. Juni. Täglich 12–18.30. Katalog für 10 €