: US-Folteraffäre auch in Afghanistan
Ein afghanischer Polizeioffizier berichtet von schweren Misshandlungen in US-Gefangenschaft. US-Botschafter verspricht Untersuchung, doch US-General verweigert afghanischer Menschenrechtskommission weiter den Zugang zu Gefangenen
VON SVEN HANSEN
Ein ehemaliger afghanischer Polizeioffizier wirft den US-Truppen in seinem Land vor, ihn während seiner Gefangenschaft schwer misshandelt zu haben. Das Verhalten der Soldaten sei vergleichbar gewesen mit Situationen, wie sie die aus dem Bagdader Gefängnis Abu Ghraib bekannt gewordenen Fotos zeigen, sagte Sayed Nabi Siddiqui der New York Times von gestern. „Ich schwöre zu Gott, diese Fotos im Fernsehen von dem Gefängnis im Irak – diese Dinge sind mir auch passiert.“
Der 47-jährige Siddiqui war im Juli und August 2003 in den US-Basen Gardes, Kandahar und Bagram gefangen gewesen. Er hatte nach eigenen Angaben Korruption in der afghanischen Polizei aufgedeckt und wurde darauf als Talib denunziert und von US-Soldaten festgenommen. Er sei in allen drei Lagern misshandelt worden, am schlimmsten in Gardes. Er beklagte, beleidigt, ausgezogen und nackt fotografiert sowie geschlagen worden zu sein. Auch sei er sexuell missbraucht und mit Schlafentzug gepeinigt worden.
Der US-Botschafter in Kabul und Vertraute von Präsident George W. Bush, Zalmay Khalilzad, kündigte gestern eine Untersuchung an. „Nach unserem besten Wissen ist es das erste Mal, dass jemand aus der militärischen Befehlskette oder der US-Botschaft von diesen Vorwürfen mutmaßlicher Misshandlung gehört hat“, erklärte Khalilzad und fügte hinzu: „Wir wissen nichts von irgendwelchen Fotos des mutmaßlichen Vorfalls.“
Bereits im März hatte die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch schwere Vorwürfe gegen die US-Truppen in Afghanistan erhoben und ihnen Misshandlungen von Gefangenen und einen unangemessenen Gewalteinsatz vorgeworfen. Bereits zuvor war US-Militärs vorgeworfen worden, die Tötung hunderter gefangener mutmaßlicher Taliban im Dezember 2001 beim Transport in Containern zum Gefängnis Shiberghan geduldet, wenn nicht gar verantwortet zu haben.
In Bagram, der früheren sowjetischen Luftwaffenbasis bei Kabul und heutigem US-Militärhauptquartier, halten die US-Truppen zurzeit 298 Personen gefangen. Im Dezember 2002 starben dort zwei Gefangene. Der Autopsiebericht nannte als Todesursache in der Haft erlittene Verletzungen. Ein weiterer Gefangener starb im Juni 2003 bei einem Verhör auf der US-Basis im nordöstlichen Kunar. Der Untersuchungsbericht der US-Armee über die Todesfälle wurden bisher nicht bekannt.
Am Dienstag wies der Kommandant der US-Truppen in Afghanistan, Generalleutnant David Barno, auf „sehr signifikante Änderungen“ bei der Behandlung von Gefangenen in US-Gewahrsam in Afghanistan hin. Darunter verstand er eine kürzere Verweildauer in Zellen regionaler afghanischer US-Stützpunkte und eine schnellere Verlegung nach Bagram.
Barno wies die Forderung der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission, die US-Lager besuchen zu können, zurück. Dies dürften nur Vertreter des Roten Kreuzes, sagte Barno. Die unter anderem mit US-Geldern finanzierte Menschenrechtskommission ist ein Resultat internationalen Drucks auf die afghanischen Regierung im Post-Taliban-Zeitalter. Die Kommission forderte die Besuche nach Bekanntwerden der Fotos aus Bagdad. Der Kommission liegen 44 Beschwerden gegen die US-Truppen in Afghanistan vor, die von Bombardierungen von Zivilisten über Gewalt bei Hausdurchsuchungen bis zu Gefangenenmisshandlungen reichen. Menschenrechtsorganisationen können inzwischen alle afghanischen Gefängnisse besuchen – außer denen der US-Truppen.