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Archiv-Artikel

„Der ganze Westen haftet dafür“

Wo Joschka Fischer die USA für die Folterungen im Irak deutlich, aber noch diplomatisch zurückhaltend kritisiert, reden andere Politiker im rot-grünen Lager Klartext. Erler sieht Folgen für gesamten Westen: „Mehr könnte sich Bin Laden nicht wünschen“

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Je deutlicher das ganze Ausmaß der amerikanischen und britischen Folterexzesse im Irak wird, desto schärfer äußern Politiker des rot-grünen Lagers ihre Kritik an den USA. Dabei gibt es so etwas wie eine natürliche Arbeitsteilung. Die Chefaußenpolitiker, der Bundeskanzler und sein Außenminister, üben sich notwendigerweise in diplomatischer Zurückhaltung – die politischen Generalisten wie SPD-Partei- und Fraktionschef Franz Müntefering und die Außenpolitiker der zweiten Reihe dagegen nehmen kaum noch ein Blatt vor den Mund.

Außenminister Joschka Fischer war es bei seinem Besuch in Washington vorbehalten, die Folterungen im Irak im Namen der Bundesregierung zum ersten Mal offiziell zu kritisieren. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sich dazu öffentlich bislang nicht geäußert. Fischer ist es bei seinem Gespräch mit US-Außenminister Colin Powell am Dienstag offenbar gelungen, deutliche Worte zu finden, ohne die US-Regierung zu brüskieren.

Er forderte Washington auf, klare Konsequenzen aus dem Folterskandal im Irak zu ziehen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Er hat Powell gesagt, „wie schockiert“ und „wie tief entsetzt“ Deutschland über die Folterungen ist. Er hat diese Kritik jedoch an die Überzeugung geknüpft, dass die feste Bindung der USA an demokratische Prinzipien zur Wiederherstellung ihrer moralischen Führungsrolle führen wird. Der grüne Außenminister sagte auch ganz deutlich, warum er das für notwendig hält: Weil ohne die USA nichts geht. „Als Freunde und Alliierte wissen wir, dass es unverzichtbar ist, dass die Vereinigten Staaten ihre moralische Glaubwürdigkeit wiederherstellen“, so Fischer. „Die Führungsrolle der USA ist unverzichtbar in der Welt des 21. Jahrhunderts.“

Nach dem Gespräch bei Powell am Dienstag und vor dem Treffen mit Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice am Mittwoch legte Fischer noch einmal nach. Mit Blick auf den Folterskandal appellierte er an die amerikanische Regierung, endlich das Abkommen über den Internationalen Strafgerichtshof zu unterzeichnen. Das wäre „ein wichtiger Schritt und ein positives Signal, um die Bindung der USA an das Recht zu demonstrieren und damit ihre moralische Glaubwürdigkeit wiederherzustellen“, sagte Fischer in einem Interview mit dem Tagesspiegel.

In Deutschland wurden zur gleichen Zeit Politiker aus dem Regierungslager noch deutlicher. SPD-Partei- und Fraktionschef Franz Müntefering forderte als Erster den Rücktritt von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Und der SPD-Außenpolitiker Gernot Erler, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion, analysierte in scharfen Worten die Folgen der Folterungen für die Politik des Westens: „Eine westliche Welt, die über Begriffe wie Guantánamo und Abu Ghraib international wahrgenommen wird, hat in Zukunft gar kein Recht mehr, Fragen an andere Nationen, andere Gesellschaften zu stellen. Sie muss eigentlich nur noch selber Fragen beantworten.“

Die Folterungen und deren Aufklärung sind nach Erlers Ansicht „nicht mehr nur eine innere Angelegenheit“ der USA. „Die ganze westliche Welt ist in so einer Art unfreiwilliger Mithaftung“, sagte der SPD-Linke. „Etwas Besseres hätte sich Bin Laden eigentlich nicht vorstellen können, wenn er den Kampf der Kulturen will.“ Europa müsse die „Dimension dieser Katastrophe“ deutlich machen.

Die Frage, welche Rolle die Nato oder die UN im Irak spielen sollten, macht für Erler im Moment „wenig Sinn“. Im Vordergrund stehe jetzt ein anderes Problem: „Hat Amerika die Selbstreinigungskraft, um mit diesem Schock fertig zu werden?“ Eine Hoffnung hat Erler dann aber doch: Die Amerikaner hätten in ihrer eigenen Geschichte schon oft eine solche Kraft bewiesen.