Jukebox

Irony is over, der Grand Prix aber noch lange nicht

Jetzt die Hand aufs Herz und Finger weg von den Nachschlagewerken: ein Lied, das den Grand Prix Eurovision de la Chanson gewonnen hat? Klar: Abba, mit „Waterloo“. 1974. Kennt jeder. Und dann … hat doch mal France Gall gewonnen (ja, mit „Poupée de cire, poupée de son“, 1965). Und Udo Jürgens („Mercie Cherie“, 1966). Und Sandie Shaw („Puppet On A String“, 1967). Robuste Partyfeger. Ach ja, der letzte Siegertitel muss aus der Türkei gekommen sein. Weil doch diesen Samstag wieder der Grand Prix in Istanbul stattfindet. Herkunft des Siegers bestimmt nächstjährigen Austragungsort, so will’s die Satzung. Für die nationale Wertung mag man sich noch an das „Bisschen Frieden“ mit Nicole erinnern, 1982, und das ist alles schon verdammt lange her und muss jedes Jahr doch aufs Neue hervorgekramt werden. Weil sonst war da nichts. Das aber ist schon ein bisserl wenig bei dem ganzen Medienrummel um eine Sache, die als Gala der europäischen Gesangskunst verstanden werden soll.

Muss doch heißen: Die Menschen wollen den Grand Prix Eurovision de la Chanson gar nicht bei sich zu Hause haben. Nicht die Platten. Nicht für immer. Sonst wären es ja Hits geworden. Tatsächlich siechte der Wettbewerb, der sich nach einer Sprachverschiebung nun Eurovision Song Contest nennt, lange vor sich hin und wäre wohl hier im Land weitgehend unbemerkt weggestorben, wenn sich nicht eine ironisch geschulte Kulturrezeption ausgerechnet mit der Bild-Zeitung verbunden hätte, um in einer gewaltigen Medienschlacht um Guildo Horns Grand-Prix-Beitrag 1998 den Wettbewerb überhaupt wieder ins televisionäre Blickfeld zu rücken. Bezahlt hat dafür nur einer. Guildo Horn, für den sich nach dem großen Hype wirklich kein Schwein mehr interessiert. Nun ist irony over. Die Bild aber und der Grand Prix sind weiter im Spiel.

Man muss ihn sich als Segen der Kulturproduktion vorstellen: Ist immer da. Ist immer neu. Ist immer gleich. Und dabei vollkommen rückstandsfrei. Merken muss man sich dabei nichts. Piep, piep, piep. Der Grand Prix hat alle lieb. THOMAS MAUCH