: Per Sauerkrautdose ins World Wide Web
Mit einem „Freifunknetz“ helfen sich Friedrichshainer Computerfreaks selbst. Und erhoffen sich davon nebenbei einen freien Kulturaustausch
VON MARTIN KAUL
Nein, Bohnendosen sind nicht rostbeständig genug. Milchtüten dagegen tun’s zur Not auch. Aber weil man nun schon in einer Hochtechnologie-Ära lebt, empfiehlt „Offlinehorst“ für bessere Übertragungswerte die Investition in eine Sauerkrautdose. „Die ist optimal für den Funktransfer“, erklärt der krausköpfige Antennenexperte.
Mit Weißblechdose und Lötzinn ins World Wide Web: An dieser überraschenden Symbiose von Low- und High-Tech arbeiten derzeit findige Berliner Computerfreaks – und basteln damit ganz nebenbei an einem wirklich freien Bürgernetz. Denn frei ist das Internet nach ihrer Einschätzung schon längst nicht mehr.
Dabei entsprang der Drang zum freien Funknetz einer simplen Unterversorgung: Weite Teile Friedrichshains warten noch immer auf Breitbandverbindungen, denn die nötige Infrastruktur konnte T-Com, die Festnetzsparte der Telekom, bislang noch nicht bereitstellen. Wer auf der Ostseite der Oberbaumbrücke wohnt und per DSL schnell im Internet surfen will, hat Pech gehabt: Hier wurden nach der Wende vermeintlich überlegene Glasfaserkabel in rauen Mengen verlegt, die aber für den schnellen Datentransfer nicht taugen. Surfern, denen das nötige Kleingeld fehlt, können sich die Breitbandverbindung ohnehin nicht leisten – egal in welchem Bezirk sie wohnen.
Um ihre Anschlusskosten zu dämpfen, handelt so manche Studenten-WG schon längst nach dem Kollektivprinzip. Funktechnik macht es möglich, sich unverkabelt und durch Wände hindurch den Netzzugang und die damit verbundenen Kosten zu teilen – selbst mit der Nachbar-WG. Das kabellose Prinzip ist als „Wireless Local Area Network“ (WLAN) bekannt.
Liegt nun ein ganzer Stadtteil anschlussmäßig brach, muss die moderne Kommune eben etwas größer sein. Dazu bastelt der Verein WaveLan Berlin e.V. an einem möglichst flächendeckenden Netz. Und weil das kein kommerzieller Anbieter bezahlt, funktioniert es nur mit Ideenreichtum, Eigeninitiative und Tüftelei. Wer sich mittwochabends ein paar Stündchen Zeit nimmt, bekommt in der „C-Base“ von „Offlinehorst“ erklärt, was er mit seiner Sauerkrautdose anzustellen hat, um sich ins Funknetz einzuloggen.
Sven Wagner von WaveLan Berlin kennt sich mit dem Ausbau des Freifunknetzes in der Stadt bestens aus: „Die Funkverbindung zwischen zwei Antennen besteht nur so lange, wie auch Sichtkontakt besteht“, lautet seine einfache Faustregel. Menschen, die dieser Tage auf Berliner Dächern stehen und ein großes Fernglas vor die Augen oder ein paar Dächer weiter flatternde Laken in den Wind halten, ermitteln Sichtweiten und treiben den Ausbau des freien Bürgernetzes voran. Via „Ad-hoc-Netzwerk“ vernetzt sich dann Computer mit Computer, ganz ohne zentralen Funkmast.
An diesem Projekt basteln die Freaks in der „C-Base“ nun schon seit anderthalb Jahren. Langsam aber wird das Vorhaben konkret – die Vernetzung hat begonnen. „Erstmal mussten wir die Technik selbst verstehen“, sagt Wagner. „Aber mittlerweile kommen Leute aus ganz Deutschland hierher, um zu sehen, wie das Prinzip funktioniert.“
Genauso haben auch die Berliner ihre ersten Schritte ins selbst gebastelte Netz gemacht: In London hat sich ein Freifunk-Network längst etabliert. Und das strukturschwache dänische Djursland, eine mit Ostfriesland vergleichbare Region, zeigt die Chancen auf, die diese Technik bietet: Dort war an Breitband-Internet nicht zu denken. Um die Isolation von der Informationsgesellschaft abzuwenden, vernetzten sich die Djursländer selbst kabellos – eine Perspektive, die die Berliner jetzt aufgreifen.
Auch Crizzy ist Freifunkerin. Sie bastelt gerade an einer Antenne, weil ihre FreundInnen sich DSL nicht leisten können: „Dann müssen die nicht immer zu mir kommen, um ins Internet zu gehen.“ Mit einer WLAN-Karte können sie – sofern die Besitzer ihren Computer freigeben und im Funknetz sind – einfach mitsurfen. Solange das Internet außen vor bleibt, ist der Datentransfer innerhalb des Funknetzes übrigens völlig umsonst und funktioniert fast wie die Dosentelefone aus Kinderzeiten. Und auch das Kommunikationsprinzip haben die Ad-hoc-Systeme sich bei den Kleinen abgeschaut: weitersagen. Wer im Freifunknetz surft, wandert nicht direkt zu einem großen Provider, sondern springt in seinem Datenlauf von WLAN-Knoten zu WLAN-Knoten, sprich: von Funkstation zu Funkstation. Ein große Netzwerkabdeckung ist somit von der Anzahl der Beteiligten abhängig.
Doch die Vernetzung bietet weitaus spannendere Perspektiven als das altbekannte Internet. Denn der Informationsfluss innerhalb der „Datenwolke“ des Funknetzes ist um ein Vielfaches schneller als eine herkömmliche DSL-Verbindung. Und an dieser Stelle wird es für die Freifunker erst richtig interessant. Der Berliner Jürgen Neumann, der die bundesweite Initiative „freifunk.net“ angestoßen hat, erklärt das System: „Die meisten privaten DSL-Verbindungen sind asymmetrisch – oder unbezahlbar. Man kann zwar alles runterladen, aber nur sehr eingeschränkt eigene Inhalte anbieten.“ Das Standard-DSL sei eine „Einbahnstraße“ und daher die „Emanzipation der User“ gefragt. Sven Wagner von WaveLan geht da noch weiter: „Die uneingeschränkte Kommunikation ist ein Grundrecht. Internet hat damit schon lange nichts mehr zu tun.“ Und Neumann erklärt: „Wir wollen weg von der Konsumentenhaltung, hin zu einem freien Austausch von Inhalten, die man nicht nur konsumieren, sondern auch zur Verfügung stellen kann. Das ist überhaupt nicht abwegig und im Übrigen völlig legal.“
An Visionen, wozu das gut sein kann, fehlt es nicht: Mit dem „BerlinBackBone“ hat WaveLan Berlin ein Kulturnetzwerk ins Leben gerufen, das bereits erste Testläufe absolviert. Kulturstätten wie RAW-Tempel, Tacheles oder Kulturbrauerei sollen mittelfristig konstant vernetzt sein. Wer dann per Sauerkrautdose in der Datenwolke schwebt, kann etwa in Hochgeschwindigkeit Live-Übertragungen von Veranstaltungen gratis mitverfolgen – beim Kunst-Festival „Transmediale“ wurde das schon erfolgreich durchexerziert.
Die Basis des Friedrichshainer Netzes ist bereits installiert. Und das Interesse steigt. Zwar fallen anfangs Kosten für die Beschaffung der nötigen Hardware an, aber die, sagt Jürgen Neumann, seien überschaubar. „Mit 100 Euro sollte man hinkommen.“ Wer tatsächlich einsteigen will, benötigt dann allerdings etwas Akribie und Geduld für Konfiguration, Löten, Klettern und Vernetzen. Und Hunger: Irgendwo muss das ganze Sauerkraut ja auch hin.“