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Archiv-Artikel

Die wesentliche Idee des Widerspruchs

Im Vorfeld der Premiere seiner Nixon-Abrechnung „Millhouse: A White Comedy“ 1971 erwog das FBI, Material über ihn an regierungsfreundliche Medien weiterzugeben: Das Werk des radikalen Filmemachers Emile de Antonio legt den Vergleich mit Michael Moore nahe, wie nun eine Retrospektive zeigt

Das Weiße Haus plante geheime Aktionen gegen Emile de AntonioSein Anti-Nixon-Film finanzierten die Erben von Standard-Oil und Rockefeller

VON SVEN VON REDEN

Das Timing hätte kaum besser sein können. Eine Woche vor dem Beginn der Filmfestspiele in Cannes gab der Disney-Konzern bekannt, dass er Michael Moores Wettbewerbsbeitrag „Fahrenheit 9/11“ nicht verleihen wird. Der Filmemacher sprach von Zensur seiner satirischen Abrechnung mit dem Bush-Clan, sein Agent behauptete einen Zusammenhang mit Steuererleichterung für Disney-Themenparks im von Jeb Bush regierten Florida. Wie gestern bekannt wurde, kann der Film nun doch in den USA starten. Die Produzentenbrüder Bob und Harvey Weinstein von der Firma Miramax wollen den Film nun aus eigener Tasche dem Mutterkonzern Disney abkaufen und durch einen neuen Vertriebspartner in die US-Kinos bringen. Aber die Irritationen bleiben. Und: Nachweisen kann eine direkte staatliche Intervention natürlich niemand – wundern würde es allerdings auch niemanden. Schließlich gibt es historische Beispiele.

Als 1971 der erste satirische Dokumentarfilm über einen amtierenden amerikanischen Präsidenten in amerikanische Kinos kam, wurden im Weißen Haus geheime Aktionen gegen dessen Regisseur Emile de Antonio geplant, wie heute öffentlich zugängliche Akten belegen. Im Vorfeld der Premiere seiner Abrechnung mit Nixon „Millhouse: A White Comedy“ im Jahre 1971 wurde erwogen, FBI-Material über den Filmemacher an regierungsfreundliche Medien weiterzugeben und die Steuerfahndung auf ihn und seine Verleihfirma New Yorker Films anzusetzen. Da de Antonio allerdings weder ein Hehl aus seiner ehemaligen Mitgliedschaft in kommunistischen Vereinigungen machte noch seine Alkoholprobleme oder sein wechselvolles Liebesleben verbarg, hätte es wenig Sinn gemacht, aus der an seinem Lebensende 50.000 Seiten langen FBI-Akte Informationen zu streuen – die Steuerfahndung klopfte allerdings 1972 und 1973 beim Filmemacher und seiner Verleihfirma an.

Der Vergleich von de Antonio und Moore, dessen erster Film „Roger & Me“ eine Woche nach de Antonios Tod Ende 1989 in Amerikas Kinos kam, liegt nahe: Ihr Werk ist geprägt von ihren unverwechselbaren Persönlichkeiten und ihrem, trotz der ernsten politischen Themen, immer wieder hervortretenden Humor. Bei beiden wird gern übersehen, dass sie ihre Kritik an der Politik und der Gesellschaft ihres Landes als eine Art patriotische Pflicht, als notwendige Mahnung, zurückzukehren zu den Idealen, die von den amerikanischen Verfassungsvätern formuliert wurden.

De Antonio war allerdings in Form als auch im Inhalt der radikalere Filmemacher. Beides hängt eng mit seiner im Vergleich zu Moore wechselvollen Biografie zusammen. De Antonio kam 1920 in Scranton, Pennsylvannia zur Welt. Obwohl aus wohlhabendem Elternhaus, prägte sich ihm das Elend der armen Kohlestadt tief ein. Erstmals politisch aktiv wurde er in seiner Studentenzeit in Harvard, wo er als Mitglied der Young Communist League bei der gewerkschaftlichen Organisation von Gummiarbeitern half. In den entpolitisierten Nachkriegsjahren verdiente er sein Geld wechselweise als Arbeiter und Intellektueller: Er war Lastkahnkapitän, Hafenarbeiter, Übersetzer und Philosophiedozent.

In den Fünfzigerjahren lebte de Antonio ein hedonistisches Leben in New York, das ihn allerdings wenig befriedigte. Der repressive Zeitgeist der McCarthy- und Eisenhower-Ära ließ wenig Platz für politischen Aktivismus. De Antonio versuchte sein Gefühl der Isolation und Enge in den Kneipen und Bars Manhattans zu überwinden. Dort freundete er sich mit den damals noch mittellosen Künstlern Jasper Johns, Robert Rauschenberg, Andy Warhol und John Cage an, denen er in der Folge Jobs und Kontakte zu Sammlern und Galeristen vermittelte. In seinem Buch „Popism“ bezeichnet Warhol de Antonio als wichtigsten Wegbereiter der Pop Art in New York: „Die Person, von der ich meine Kunstausbildung bekommen habe, war Emile de Antonio. Er war der Erste, den ich kannte, der Werbung als Kunst ansah und Kunst als Werbung, und er brachte es fertig, dass die gesamte New Yorker Kunstwelt es ebenso sah.“

De Antonio war damals fast 40, seine besten Freunde hatten maßgeblichen Anteil am Aufstieg New Yorks zur Weltkunstmetropole, er selber aber wusste immer noch nicht, was er eigentlich mit seinem Leben anfangen sollte. Dies änderte sich erst, als er 1959 den Beat-Film „Pull My Daisy“ im Kino sah, der eine Art Bekehrungserlebnis bei ihm auslöste. Überzeugt, eine neue Berufung gefunden zu haben, wurde er zum Mitbegründer der New American Cinema Gruppe, der neben den Machern von „Pull My Daisy“, Robert Frank und Alfred Leslie, auch Jonas Mekas, Lewis Allen und Lionel Rogosin angehörten.

Für de Antonio bedeutete dies nicht zufällig zu Beginn der Sechzigerjahre eine Rückkehr zum politischen Engagement. Als völliger Laie begann er die Arbeit an „Point of Order“. Der Film besteht ausschließlich aus einem Zusammenschnitt der 188 Stunden Fernsehübertragung der Senatsanhörungen, die 1954 den paranoiden Charakter des Kommunistenjägers Joe McCarthys vor den Augen der amerikanischen Öffentlichkeit enthüllten. De Antonio verzichtete nicht nur auf die Verwendung eigenen filmischen Materials, sondern auch auf jeden gesprochenen Kommentar. Die Stimme des Regisseurs erschließt sich einzig und allein durch Auswahl und Schnitt des Materials. Die politischen Entwicklungen gaben de Antonio die Themen seiner kommenden Filme vor: „Rush to Judgement“ (1966) versucht eine Verteidigung des mutmaßlichen Kennedy-Attentäters Lee Harvey Oswald; „In the Year of the Pig“ (1969) analysiert bereits sechs Jahre vor dem Ende des Vietnamkriegs, warum die Amerikaner gegen den Vietcong nur verlieren konnten. Dieser Film brachte de Antonio sowohl die Nominierung für einen Oscar als auch einen Hauptpreis bei den Leipziger Filmfestspielen ein. Nur wenige Kinobesitzer waren allerdings bereit, den Film vorzuführen, nachdem es in Houston und Los Angeles zu Bombendrohungen und Leinwandzerstörungen gekommen war.

Sein folgender Film „Millhouse: A White Comedy“ sollte noch nicht den Höhepunkt seiner filmischen Provokationen gegen den Staat markieren. 1974 bekam der Regisseur das Buch „Prairie Fire“, verfasst von der Weather Underground Organization, in die Hände und beschloss nach dessen Lektüre einen Film über die aus dem amerikanischen SDS hervorgegangene, seit knapp fünf Jahren im Untergrund lebende terroristische Gruppe zu machen. Allerdings bekam vor der Fertigstellung von „Underground“ (1976) das FBI Wind von der Thematik des Films und versuchte die Filmemacher über eine gerichtliche Vorladung zur Herausgabe des Filmmaterials zu zwingen. Statt Folge zu leisten, organisierte de Antonio jedoch mit Hilfe seines mehrfach Oscar-prämierten Kameramanns Haskell Wexler eine Unterschriftenaktion gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit und mobilisierte damit unter anderem Jack Nicholson, Warren Beatty, Shirley McLaine und Peter Bogdanovich. Drei Wochen später wurde die Vorladung vor Gericht ohne Angaben von Gründen zurückgezogen.

Auch in seinem folgenden Film „In the King of Prussia“ (1982) stand eine Gruppe im Mittelpunkt, die Widerstand gegen den Staat leistete. Die Plowshares 8 waren allerdings im Gegensatz zu den Weatherpeople keine politisch motivierten Terroristen, sondern eine katholische, radikal pazifistische Gemeinschaft, die mit symbolischen Antiatomkraft-Aktionen auf sich aufmerksam machte. In seinem letzten Film „Mr. Hoover & I“ (1989) widmete sich der Regisseur dem langjährigen FBI-Chef J. Edgar Hoover und seiner Organisation. De Antonio tritt hier erstmals selbst als Zeitzeuge auf und berichtet von seiner jahrzehntelangen Überwachung durch die Bundespolizei.

Der autobiografische „Mr. Hoover & I“, in dem de Antonio häufig direkt in die Kamera spricht, lässt sich am ehesten mit Moores Filmen vergleichen (auch in seinen teilweise wenig geschmackvollen Attacken auf Hoover, die an Moores Vorführen des alzheimerkranken Charlton Heston in „Bowling for Columbine“ erinnern). Doch dass sich de Antonio selber in den Vordergrund spielt, ist in seinem Werk die Ausnahme. Nixon oder McCarthy entlarven sich selbst als Marionetten ihres Machthungers. Durch den Verzicht auf einen Voice-Over-Kommentar, der die Flut der Bilder und Aussagen ordnet und interpretiert, verlangen de Antonios Filme vom Zuschauer allerdings ständiges aktives Mitdenken. Die Montage von selbst gedrehten Interviews und Archivmaterial lässt ein komplexes Geflecht von Resonanzen entstehen zwischen fremdem und eigenem Bild- und Tonmaterial, Film und Zuschauer: „Ich glaube, in jedem meiner Filme gibt es verschiedene Bedeutungsebenen, die sich beim ersten Sehen oft nicht erschließen“, meinte der Regisseur in einem Interview. Und weiter: „Das Wesentliche an der Collage ist die Idee des Widerspruchs. Ich will Widersprüche, die sich im Kopf des Zuschauers zu Meinungen entwickeln.“

Mit einer dokumentarischen Ästhetik, die sich aus den Collagetheorien der bildenden Kunst herleitete, hat de Antonio ein dokumentarisches Werk geschaffen, das in seiner komplexen Aufarbeitung der Geschichte Amerikas im Kalten Krieg unvergleichlich ist. Dass er damit nicht die Publikumsmassen erreichen konnte wie Michael Moore, ist klar; aber er war stets stolz darauf, dass seine Filme zumindest ihre Produktionskosten wieder einspielten. Wichtig war für ihn immer seine völlige Unabhängigkeit. Er hätte sich niemals von Disney am Gängelband führen lassen. Das heißt nicht, dass er sich nicht an die Großfinanz gewandt hätte, um seine Filme zu verwirklichen. Über die Kunstszene hatte er Kontakte zur High Society New Yorks, er kannte viele Millionäre und Milliardäre. Sein Anti-Nixon-Film etwa wurde unter anderem von Erben des Standard-Oil- und des Rockefeller-Vermögens finanziert.

Eine Retrospektive von Emile de Antonios Filmen ist ab Sonntag im Berliner Kino Arsenal zu sehen, Programm unter: www.fdk-berlin.de