Gipfel der Zuständigkeiten

Ziel aller Beteiligten an der Berliner Gesprächsrunde ist, den teuren Bildungssektor transparenter und billiger zu machen

von CHRISTIAN FÜLLER

Für die deutschen Schüler beginnen nun die schweren Wochen. Die großen Ferien stehen vor der Tür, das ist natürlich erfreulich. Aber vorher müssen rund 10 Millionen schulpflichtige Kinder und Jugendliche eine lästige Pflicht absolvieren – die Entgegennahme der Zeugnisse. Für ein gutes Drittel, so sagen es Schulpsychologen, ist diese Zeit mit großen Ängsten verbunden. Die ersten Sorgentelefone sind geschaltet.

Wenn sich zeitgleich mit der Zitterpartie in den Schulen die Ministerpräsidenten und sogar der Bundeskanzler mit dem Thema Bildung befassen, dann wird das kein Krisengipfel für Sitzenbleiber. Die Länderchefs treffen heute den rot-grünen Regierungschef Gerhard Schröder – um zu streiten. Kompliziertes steht auf der Tagesordnung: Wer soll im Bundesstaat Deutschland für Schulen und Hochschulen zuständig sein? Und: Wer soll dafür bezahlen?

Schüler und Lehrer sind sich einig, wohin der heutige Bildungsgipfel führt. „Da kommt eh nix bei raus“, schimpft Dana Lüddemann von der bundesweiten Schülervertetung BSV (siehe Interview). „Wer in zehn Jahren mit seiner Bildung an der Spitze stehen will“, ätzt auch die GEW-Vorsitzende Eva-Maria Stange, „der darf nicht neun Jahre mit Kompetenzstreit verplempern.“

Stanges Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und die Schülervertreter rufen daher für übermorgen zu einem „Tag der Bildung“ auf. Von Kiel bis Konstanz, von Düsseldorf bis Dresden fordern sie am Freitag auf 500 Veranstaltungen mehr Aufmerksamkeit für die deutschen Schulen – und mehr Geld.

Zusätzliche Millionen, das jedoch wird das Letzte sein, was die Klausur der Regierungschefs bringen wird. Selbst die Ministerpräsidenten vermeintlich reicher Länder wie Edmund Stoiber (CSU) oder Peer Steinbrück (SPD) müssen inzwischen jeden Cent umdrehen.

Bundeswissenschaftsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) hilft ihren Länderkollegen zwar, Hochschulen auszubauen, Forschungsinstitute zu finanzieren und in Ganztagsschulen zu investieren. Aber im Vergleich zu den Bildungskosten der Länder sind das nur die berühmten Peanuts. Daher ist das Ziel aller Beteiligten im Kanzleramt, den teuren Bildungssektor transparenter und billiger zu machen.

Der lernende und studierende deutsche Nachwuchs kostet die Finanzminister einen Batzen Geld. 28,6 Milliarden Euro mussten sie allein 2001 für Hochschulen ausgeben. Weitere 50 Milliarden Euro flossen in die Schulen. Mit beiden Beträgen steht die Bundesrepublik im internationalen Vergleich zwar nicht besonders gut da; andere Länder geben mehr Geld für den Kompetenzerwerb ihrer Jugend aus. Aber den Kassenwarten der Länder ist das immer noch zu viel. Sie plädieren für ein Absenken der Kosten. Zuerst müssen dazu aber die Bildungszuständigkeiten entflochten werden. Das bedeutet: Nur die Länder sollen künftig für Schulen und Hochschulen zuständig sein. Auch den Hochschulbau und die Forschungsförderung, beides Bereiche der ungeliebten Mischfinanzierung, will man sortieren.

Die Crux: Die Ministerpräsidenten wollen weiter gehen bei der Entflechtung als die Kultusminister. Und auch zwischen den Kultusministern herrscht alles andere als Einigkeit. Dort streiten sich die reichen, schwarzen Südstaatler mit ihren armen Parteifreunden aus dem Osten und den eher unentschiedenen Sozialdemokraten.

„Ich vertrete die Interessen der Ostländer“, sagt etwa die Thüringer Wissenschaftsministerin Dagmar Schipanski (CDU). Weil der Osten Nachholbedarf habe, dürfe der Bund beim Hochschulbau und der Forschungsförderung nicht aus seiner finanziellen Verantwortung entlassen werden. „Ich bin grundsätzlich für Mischfinanzierung“, sagt Schipanski, „der kooperative Föderalismus hat sich bewährt.“ Was ist das anderes als eine Absage an den „Wettbewerbsföderalismus“ ihrer Unionsfreunde?

Doch nicht nur bei den Hochschulen wirft der Separatismus des Südens Probleme auf. Auch die Schulen kommen ohne die koordinierende Hand des Bundes nicht mehr zu Rande. Die Reaktionen der Länder auf die bescheidenen deutschen Ergebnisse bei der Pisa-Studie waren, freundlich gesagt, zurückhaltend.

Immer wenn die Kultusminister noch palaverten, wie die Leseschwäche 15-jähriger Schüler zu beheben sei, war die forsche Bundesministerin schon da: Sie trieb den Ausbau von Ganztagsschulen voran und die Erarbeitung von Bildungsstandards, die nicht nur in Bayern oder Baden-Württemberg, sondern bundesweit Gültigkeit haben. Bulmahn ist es auch, die schon vor einem Jahr eine „nationale Agentur“ zur Messung dieser Standards forderte. Ihr Vorbild waren dabei die ebenso unabhängigen wie erfolgreichen nationalen Schulbehörden Schwedens und Finnlands.

Wie weit Bulmahn damit voraus ist, darf die Öffentlichkeit nun dieser Tage bestaunen. Die Chefin der Kultusminister, Karin Wolff (CDU) aus Hessen, hat gerade nationale Bildungsstandards in Mathematik und Deutsch vorgestellt. Wer sie aber bundesweit überprüfen soll, das musste Wolff zugeben, haben die Kultusminister „immer noch nicht entschieden“. Bulmahns Wort von der „nationalen Agentur“ ließ Wolff nicht über ihre Lippen. Der Grund dafür ist ganz einfach. Die Kultusminister müssen warten, was beim großen Zuständigkeitsgipfel heute im Kanzleramt herauskommt. Das kann dauern.