Ein Wechsel auf die Zukunft

Europas Bauern werden sich umstellen müssen. Förderung erhält künftig nur, wer nachfrageorientiert wirtschaftet und Umweltstandards einhält

von NICK REIMER

Nach nur einer Nachtsitzung einigten sich gestern Morgen in Luxemburg die Agrarminister der Europäischen Union auf eine Agrarreform. Dabei hatten sich die Verhandlungspositionen in der letzten Woche als betonhart erwiesen. Noch am Montag hatten Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac und sein italienischer Kollege Silvio Berlusconi ihre Landwirtschaftsminister dazu verdonnert, offene Fragen noch „einmal gründlich zu prüfen“. Und Fragen, die offen waren, gab es mehr als andere.

Trotzdem liege nun „ein insgesamt sehr gutes Kompromisspapier“ vor, sagte gestern in Berlin die deutsche Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Bündnisgrüne). Danach wird die Europäische Union umweltschädliche Produktionsanreize beseitigen, statt dessen nachhaltigere Produktionsweisen fördern. Bislang funktioniert das so: Bauer Mustermann baut Mais an – nicht, weil der Markt Mais nachfragt, sondern weil er herausgefunden hat, dass die EU den Maisanbau mit 400 Euro je Hektar fördert. Summiert man alle Bauern und alle Hektar Europas zusammen, kommt ein Agrarhaushalt mit jährlich 41 Milliarden Euro raus – der weitaus größte EU-Haushaltstitel –, von dem weit über die Hälfte als direkte Subventionen draufgehen.

Bauer Mustermann wird sich nun wohl umstellen: Ab 2007 bekommt er die 400 Euro je Hektar nicht mehr, sondern den wesentlich niedrigeren Marktpreis. Als Kompensation steht ihm eine pauschale Förderung zu, die, sollte er bestimmte Umwelt- und Arbeitsstandards nicht einhalten, zusammengestrichen wird. Er kann aber auch mehr als die Pauschale bekommen, etwa wenn er ein Ferienzimmer einrichtet oder landwirtschaftlichen Naturschutz betreibt. Die Agrarreform hat sich nämlich zum Ziel gesetzt, den ländlichen Raum stärker zu fördern, dort zukunftsorientierte Arbeitsplätze zu schaffen und damit die Landflucht zu stoppen. Wie dieses „mehr“ an Förderung genau aussieht, ist Sache jedes einzelnen Mitgliedslandes.

Die Subvention der Landwirte wird also von deren Produktion entkoppelt. Im Artikel 38 der Agrarreform sind den Mitgliedstaaten dafür weitreichende Differenzierungsmöglichkeiten eingeräumt. Festgeschrieben ist nur, dass die Beihilfen künftig nur noch in wenigen Bereichen zu 25 Prozent mit der produzierten Menge verbunden sein dürfen. Künast gibt als Beispiel die Kuh: „Ob wir die 25 Prozent auf Mastbullen, Milchkühe oder Kälber anwenden, bleibt uns überlassen.“ Künast, die Ersteres für „in Deutschland am sinnvollsten hält“, ist jedenfalls froh, dass sie für diese Diskussion Zeit hat: „Mir reicht’s jetzt erst mal mit der Kompromisssuche.“

Dass der ausgehandelte Kompromiss der EU-Landwirtschaftsminister nicht so schlecht sein kann, zeigten gestern die Reaktionen. Während der World Wide Fund for Nature (WWF) die Agrarreform als „richtigen Schritt, aber viel zu inkonsequent“ beurteilte, heulte der Deutsche Bauernverband laut auf. Bauernverbandspräsident Gerd Sonnleitner nannte den Beschluss einen „bürokratischen Overkill“, der für die deutschen Landwirte Einkommenseinbußen zwischen 1,2 und 2 Milliarden Euro vor allem bei der Milch- und Rindfleischerzeugung bedeute. „Ich wäre froh, wenn ich den Vorwurf wenigstens inhaltlich verstehen könnte“, sagte Künast dazu. Fakt sei doch, dass der Bauernverband bis „heute früh, 7.40 Uhr, alles getan hat, damit es zu keiner Agrarreform kommt“. Man solle sich durch die vielen Flexibilisierungsangebote nicht verwirren lassen, die der Kompromiss bereit hält. „Da ist für jedes Mitgliedsland etwas dabei.“

Anders als die Bauernlobby findet die Industrielobby das Verhandlungsergebnis richtig gut. Allerdings meint der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) auch etwas ganz anderes. BDI-Präsident Michael Rogowski nannte die Reform ein „positives Signal für die WTO-Runde“. Die weitgehend durchgesetzte Entkoppelung von Beihilfen und Produktion werde es der EU erleichtern, im Kreis der WTO-Mitglieder einen tragfähigen Kompromiss zu erreichen.

Ganz soweit sind die Europäer aber noch nicht. Für die im September angesetzen Gespräche der Welthandelsorganisation gilt es nämlich drei Komplexe zu bearbeiten: den Abbau von direkten Exportsubventionen, den Abbau von Einfuhrzöllen und die Direktbeihilfen. „Wir haben nur Letzteres ausgeräumt“, so Künast. Und die Jubelpolitik des BDI ist ja auch durchsichtig: Die deutsche Wirtschaft möchte bei den WTO-Verhandlungen gern über weitere Liberalisierungen sprechen – um sich neue Märkte zu erschließen. Die Staaten des armen Südens sind aber dazu nur bereit, wenn der Norden selbst einen liberaleren Agrarmarkt anbietet.

Dass nun zumindest Punkt drei dieser WTO-Agenda abgearbeitet wurde, ist nicht unwesentlich bilateralen Verhandlungen zwischen Frankreich und Deutschland zu verdanken. Noch vor Wochenfrist hatte Frankreichs Präsident Jacques Chirac die Verhandlungen persönlich platzen lassen. Renate Künast bezeichnete die bilateralen Gespräche nun als „sehr produktiv“. Experten rätselten deshalb gestern, womit sich Deutschland das französische Entgegenkommen erkaufte. Künast sagte dazu nur: „Sie dürfen davon ausgehen, dass Deutschland und Frankreich über viele Sachen reden.“ Den eigenen politischen Gewinn jedenfalls formulierte die Verbraucherschutzministerin so: „Durch die Reform bekommt die Agrarwende in Deutschland einen wesentlichen Impuls.“